Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
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Wir betrachten das Tier, die Pflanze, finden im einzelnen verwandtschaftliche Beziehungen und suchen dafür nach einem gemeinsamen Ausdruck, der für die gewöhnliche Rede, wie für die getragene Dichtung paßt. Mit den Worten Glied, Körperteil, Körperwerkzeug ist uns nicht gedient. Wir verlangen, daß das Wort etwas aussage über die »innere« Zweckmäßigkeit, über den Gegensatz dieses Werkzeugs zum Instrument, zur Maschine, über seinen Trieb zur Selbsterhaltung und über den Zusammenhang der obwaltenden Lebenskräfte innerhalb der großen Natur. Diesem Verlangen entsprechend, wird sich also das Wort zu einem Massengebilde auszuwachsen haben, das seines Formers noch harrt und dessen Längsstreckung wir nur schaudernd erahnen können. Und wenn es fertig dasteht in seiner ganzen sinnvollen, aber klanglosen Plumpheit, wird neben ihm ein kleiner musikalischer Jambus auftauchen, der im Sinn genau dasselbe leistet, das Weltwort: Organ .
Wir bilden ein neues Adjektiv: erdmittelpunktig. Daß es in dieser Form schon drei Begriffe und elf Konsonanten enthält, soll uns nicht weiter stören. Wohl aber stört es uns, daß es zu wenig betont, worauf es uns ankommt, nämlich die Ausschließlichkeit der Erde in einer menschlichen Anschauungsform. Nicht das Geometrische wollen wir hervorheben, sondern die Enge einer Vorstellung, welche einseitig auf die Erde bezieht, was bei erweiterter Anschauung auf die Sonne oder das Weltall bezogen werden müßte. Strecken wir also jenes Adjektiv, sagen wir: »enganschauungserdmittelpunktig« und schachteln wir weiter, bis die Gesamtheit des Begriffs glücklich hineingestopft ist. Aber nie werden wir imstande sein, das Wort klingend zu machen oder gar, ihm den historischen Klang beizubringen. Und die ganze Arbeit hätten wir uns sparen können, denn das alte Weltwort geozentrisch leistet alles, was wir verlangen in Sinnbeziehung, in geschichtlichem Anklang und im Klang überhaupt.
Wir wollen einen eigenwilligen, herrschsüchtigen Menschen bezeichnen, einen, der bei der Durchsetzung seiner Pläne vor Vergewaltigung der Mitmenschen nicht zurückschreckt. Dafür wird die Sprache Rat wissen und die deutsche besonders im Reichtum ihrer Ausdrucksmöglichkeiten. Vielleicht: Machtstreber? reicht nicht. Denn über die Art der Macht wird nichts ausgesagt und über die Methode des Strebers nichts verraten. Wir aber haben ganz Bestimmtes im Auge, und wir definieren: dieser Mensch soll unabhängig davon, in welcher Staatsform er lebt, unabhängig davon, ob er selbst despotisch oder sozialistisch gerichtet ist, nach Macht streben; und zwar nach einer Macht außerhalb des Interessenkreises seines eigenen Volkes mit gewaltsamem Übergriff in die Angelegenheiten anderer Nationen. Das ist, obschon im Begriff sehr vielfältig, ganz klar, und dafür muß es ein Wort geben. Das Suchen hilft nichts, man muß es bilden, und irgend ein Bildner, will sagen ein Wort- und Silbenbäcker, ist vielleicht schon bei der Backarbeit. Aber das Wort existiert längst und hat sich mit dem inneren Ohr vortrefflich angefreundet. Es heißt: Imperialist .
Neue Begriffe sind auf dem Anmarsch, wollen und werden sich durchsetzen, verlangen nach Ausdruck. Der Denkmeister Emanuel Lasker erweitert den Übermenschen zu einer Figur, der in der Forschung und sicherlich auch in der Dichtung künftiger Tage eine Rolle spielen wird. Starke Lichtbündel einer neuen Philosophie strahlen von ihr aus, sie verknüpft mathematische Strenge mit poetischer Freiheit, und es bedarf langer schwieriger Auseinandersetzungen, um die neue übermenschliche Gestaltung zu verdeutlichen. Aber im Kopfe des Erzeugers entstand der neue Begriff zugleich mit dem neuen kurzen Ausdruck: Der Macheïde , abgeleitet vom griechischen maché, der Kampf. In seiner umfänglichen Sinnfülle trotzt er der Übersetzung, und dereinst wird der Macheïde, wie vordem der Pelide und der Atride, auch den Vers erobern.
Sollen wir uns den Taktrufen verschließen, die aus Technik und Verkehr auf uns eindringen, aus Fächern, die in ihrem Wesen auf Bewegung und Rhythmus eingestellt sind? Auf den Wagen neuer Bahnzüge, die Abendland mit Morgenland verbinden, lasen wir: » Mitropa «. Das war zunächst eine willkürliche Abkürzung von Mitteleuropa, und doch schon erkennbar ein neues Weltwort, ausgestattet mit den Vorzügen der Kürze, des Klanges und der weitreichenden Sinnbeziehung. In ihm steckt Zusammenschluß, Raum- und Zeitüberwindung, internationale Weite, Völkerbrücke.
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