Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Verirrungen des Mittelalters berichten, von vernunftfesselnder Haarspalterei am Wort, von Zunftzwang, Hexenglauben, Tortur und derlei angenehmen Dingen. Es ging eine Epidemie durchs Land, so werden sie sagen, deren Träger zwangsläufig so handelten, als ob sie Werte vernichten müßten. Sie zertrümmerten die Laternen auf dunklen Wegen, sprengten Brücken, zerstörten alle Verbindungsmittel, die aus der Enge ins Weite führten. Und sie glaubten ein vaterländisch Werk zu verrichten, wenn sie das Vaterland absperrten, wenn sie ihm Zufuhr und Ausfuhr unterbanden.
Um aber ganz in der Gegenwart zu bleiben, so denken wir uns einen mit Schlagworten der Heimat um sich werfenden Eiferer, der folgendes Programm vor sich hertrüge: Kampf und Tod allem Internationalen! Der weitaus größte Teil der Menschheit mißt nach Metern und Kilometern, kehren wir zum Fuß, zur Elle, zur Wegstunde zurück, und erklären wir das in Welschland ausgebrütete Metersystem für undeutsch und unwürdig eines deutschen Mannes. Wir verwerfen und verfemen das Gramm und Kilogramm, die elektrischen Einheiten Volt, Ampere und Watt; wir verwerfen sogar das ganze Dezimalsystem, denn alles Dekadische ist von Indern und Arabern gekommen, und wir wollen deutsche Rechnung, die man nur in Deutschland versteht und sonst nirgends in der Welt. Die deutsche Stunde soll 57 Minuten zählen, oder 63 Minuten, aber nicht 60, denn soviel zählt die Stunde in der großen Welt, und die ist undeutsch. Briefe und Zeitungen ins Inland und Ausland? das paßt uns nicht, denn solcher Verkehr erinnert an den Weltpostverein, und diese Einrichtung ist international, also undeutsch, verächtlich und reif für unseren ausrottenden Zorn! – Dieser Werber würde Anhänger finden und völkische Gefolgschaft. Und im Grunde unterschiede sich seine Fanfare nur in der Tonart, nicht aber in der Melodie von der unserer Sprachbegrenzer: denn auch diese fordern die Preisgebung internationaler Errungenschaft, wie sie im Weltwort dem Weltverkehr und der Weltverständigung dient.
Wir sind das Volk der Dichter und Denker, also abgestempelt in England, und in dieser Eigenschaft werden wir unsere Welthegemonie aufrecht zu erhalten haben. Während im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Schwergewicht in Frankreich und England ruhte, hat im neunzehnten Deutschland drei Viertel der geistigen Arbeit für Europa geleistet, und die Folgezeit soll diese Arbeit vertiefen und verbreitern. Hierzu brauchen wir eine Sprache, die sich nicht nach den nahegelegenen Kirchtürmen orientiert, sondern nach den Leuchttürmen des Wissens, der Forschung, der Geistigkeit. Man nenne mir eine Frage, die für uns wichtiger wäre! kann es eine größere geben als die der geistigen Weltstellung? Und trägt sie nicht ihre Antwort in sich, wenn wir sie nur richtig stellen, nämlich so, daß Geistigkeit und weltverständliche Sprachlichkeit in ihr als untrennbare Güter auftreten?
Es könnte erstaunlich erscheinen, daß die Internationalität der Sprache vordem in den fachlichen Erörterungen über Weltverkehr eine so geringe Rolle gespielt hat, wenn es sich nicht eigentlich von selbst erklärte. Denn die deutsche Sprache war – bis der Große Krieg die Wandlung brachte – auf dem besten Wege, eine Weltsprache zu werden, aus sich heraus, aus eigener Sendung, ohne Verabredung und Festsetzung auf Konferenzen und Kongressen an grünen Tischen in Genf, Bern und im Haag. Um diese Festsetzungen aber kreiste vordem der Inhalt aller Fachschriften über Internationalität und deren möglichen weiteren Ausbau. Das Herz konnte einem weit werden, wenn man sie las und dabei verspürte, wie sich jenseits der Zeitergebnisse ahnungsvolle Fernsichten in ein goldenes Zeitalter öffneten.
Mancher Blütentraum ist seitdem verflogen, und doch werden wir wieder an das anknüpfen müssen, was kenntnisreiche Männer auf Grund des Erreichten mit großzügigen Prognosen verkündeten. Ich denke hier vornehmlich an die Studie »Weltbürgertum, Nationalstaat und internationale Verständigung« , die Ludwig Stein ein Jahr vor Beginn des Weltkriegs veröffentlicht hat. Seine Ansagen, an nahen Zeiten gemessen, sind von der harten Wirklichkeit überrannt worden. Auf weite Zeiten gemessen, werden sie neue Gültigkeit gewinnen. So teilt das Auge des Propheten das Schicksal aller Augen, die ja von Natur aus auf teleskopische Leistungen eingestellt sind. Kein Auge dringt von der Berliner Behausung bis Magdeburg, aber ohne die geringste Schwierigkeit
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