Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
wir in Tokio, mit wiederum Einem unter Fünfzehnhundert, sagen wir in Köln, in Verbindung tritt, so können sie sich tatsächlich verständigen.
Es geht aber mit den Geschäftsbriefen in Esperanto wie mit den Gespenstern: alle Welt redet von ihnen, aber keiner erblickt sie. Ich für meine Person muß gestehen, daß ich noch niemals den Vorzug gehabt habe, einen Esperanto-Brief zu Gesicht zu bekommen; und ich habe auch unter meinen Bekannten keinen einzigen, der mir vom Empfang solcher Esperantoschrift zu berichten vermocht hätte.
Das wäre freilich noch kein Beweis gegen die Zukunft des Esperanto oder gegen die Möglichkeit einer Weltsprache überhaupt. Wohl aber darf daraus ein Wahrscheinlichkeitsschluß gezogen werden, und dieser Schluß deckt sich vortrefflich mit allen Überlegungen, welche die Sprache als ein organisch gewordenes und wachsendes begreifen. Stellt man das Organische dem Mechanischen gegenüber, das Lebendige dem Kunstprodukt, so sagt man sich von vornherein: selbst wenn es gelänge, die Pfleger des Esperanto auf zehn oder hundert Millionen zu bringen, so wird es sich immer noch zu einer wirklichen Sprache verhalten wie eine Papierattrappe zu einer Blume, wie eine Automatpuppe zu einem atmenden Menschen.
Aber vielleicht könnte es eine Ersatz-Sprache werden, ein Sprach-Ersatz, wie wir ja so viele Ersätze besitzen, mit denen wir uns hindurchhelfen, obschon wir uns über ihre Minderwertigkeit gar nicht täuschen. Auch das ist in hohem Grade unwahrscheinlich. Und zwar aus dem einfachen Grunde, weil kein Verständiger sich mit dem Ersatz befreundet, wenn er das Echte haben kann. Wenn ein Unkundiger statt vier Wochen Esperanto zu üben, die nämlichen vier Wochen Englisch oder Französisch paukt, so wird er zwar von diesen Sprachen nur ein Minimum in Besitz bekommen, aber mit diesem Wenigen in der Welt sehr viel weiter reichen, als mit dem Höchstbesitz von Esperanto. Und außerdem, selbst jenes Minimum wird noch Sprache sein, unvollkommene, fehlerhafte, aber doch Sprache, nicht bloß flatus vocis und Zeichen auf Papier, während jede am Studiertisch ersonnene Kunstsprache nichts anderes sein und werden kann, als eine Summe von Signalen, in denen man wohl Gedachtes melden, aber nicht denken kann.
Der schärfste Einwand gegen diese Ansicht leitet sich aus der Teilnahme großer Männer her; so war unter den früheren Cartesius und Leibniz, so ist unter den heutigen Wilhelm Ostwald Befürworter der Kunst-Weltsprache. Zwischen Leibniz und Ostwald liegen rund dritthalb Jahrhunderte. Ich kann natürlich nicht wissen, ob nicht nach weiterem Vierteljahrtausend abermals ein Bedeutender mit dem nämlichen Bekenntnis auftreten wird. Aber das eine weiß ich, daß dieser Kommende das Feld anders vorbereitet finden wird; nämlich dadurch, daß dann die Gebildeten sich ohne gekünstelte Umwege auf Grund ihrer wirklichen Sprachen werden verständigen wollen. Der Kommende wird dann nur noch nötig haben, den Weltworten als Dolmetschern die letzten Hindernisse aus dem Wege zu schaffen.
Für uns Deutsche wiederholt sich hier derselbe Vorgang im Sprachlichen, der zuvor noch allgemeiner in der naturgesetzten Linie vom Weltbürgerlichen über das Nur-Nationale zum Mehr-als-Nationalen betrachtet wurde. Freilich müssen wir nunmehr die Zeiträume ganz anders abstecken und in die Entwicklung einlagern. Dem ersten wäre das edle Schrifttum unter Vorherrschaft der lateinischen Gelehrtensprache zuzuweisen, also vom ersten Auftreten der Humanisten bis etwa zum Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts. Der Gedankenbildner und Gedankenverkünder brauchte kein erklügeltes Volapük oder Esperanto zur Mitteilung, das Latein war Weltsprache und bezeichnete in seiner universellen Geltung ein Weltbürgertum, das sich gar nicht in sehnsüchtigen Verschwommenheiten zu ergehen brauchte, da es seine restlose Erfüllung in sich barg. Mit Latein auf dem Katheder und Latein in der Abhandlung wurde man in Paris ebenso verstanden wie in Salamanca, Padua, Leiden und Utrecht, Prag, Nürnberg, Cambridge, Upsala; hätte man damals von einem Gelehrten gefordert, er sollte nur in seiner Muttersprache, für sein Land schreiben und sich im übrigen auf die Übersetzer vertrösten, so wäre ihm das so abenteuerlich vorgekommen, wie heute die Zumutung an einen Verleger erscheinen würde, er möge seine Zeitung nicht durch die Schnellpresse, sondern durch Handabschriften verbreiten.
Jene Kosmopolis begann zu verfallen und erhielt ihren ersten klaffenden
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