Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
gewollte Manier überzuschlagen droht, könnte ihr Urheber selbstherrliche Rechte geltend machen, und oft genug wäre es verfehlt, ihm zuzurufen: das geht nicht, so schreibt man nicht, das darfst du nicht! Als Wagner mit seinem Rheingold-Deutsch herauskam, spritzte es den Ironikern nur so aus den Federn. Sie bewiesen, sie spießten, sie führten glänzende Florettstöße gegen die Schrulle, mit dem Erfolg, daß sich die vermeintliche Unart als bedeutsame Art durchsetzte. Und der glänzende Stil jener Spießer wirkt heute flau wie ihre Beweisgründe, die uns nicht mehr als stahlscharf, sondern als vernunftledern erscheinen.
Heut wird gegen andere Stilsünden scharfgemacht, so gegen die abgehackten Sätze. Für ihre Sonderart hat Konrad Fischer in einer lesenswerten Abhandlung den witzigen Ausdruck » Der asthmatische Stil « aufgestellt. Ich entnehme diesem Aufsatz (in der Zeitschrift des Allg. Deutschen Sprachvereins vom Dez. 1917) einige Beispiele aus Ganghofer, Rudolf Stratz und anderen:
Sie ritten im Nebel vorüber. Und verschwanden im Grau. – Das war nicht lieblich. Aber hilfreich. – Ich erschrecke vor Ratten. Weil mir ekelt.– Gute Vettern sollten sich zuweilen besuchen. Um sich auszusprechen.
Ich habe das Meine getan. Wirklich das Äußerste. – Es sah schlimm aus. Wie ein Schlaganfall. Oder wenigstens wie eine Ohnmacht. – Jetzt bleibt er fest. Ist hart. –
Aber da saß ein Feldgrauer. Am Ostersonntage. In einer Kirche. Auf einer Bank.
Das kann natürlich bei Nachtretern zu Mißbrauch und Lächerlichkeit führen. Der gedankenlose Stilfex hält den Satzstummel für das Wesentliche und stümmelt auf eigne Hand darauf los mit möglichster Konstruktions-Ersparnis. Seine Sprache wird dann merklich asthmatisch, aber nicht deshalb, weil den Sätzen, sondern weil den Gedanken der Atem fehlt.
Der abgerissene Satz an sich zeigt weder Symptome einer Krankheit, noch überhaupt Kennzeichen eines Stiles. Erst durch den Zusammenhang, durch Absicht und Bau des Ganzen wird erkennbar, ob er durch Marotte, durch Unvermögen oder durch künstliche Eingebung entstand. Die gesamte Literatur wimmelt von Abgerissenheiten, und in ihren höchsten Entzückungen neigt sie, um das Wort beizubehalten, zum Asthma: Freudvoll und leidvoll – Gedanken voll sein; – Langen und bangen – in schwebender Pein, – Himmelhoch jauchzend, – Zum Tode betrübt – – ist auch konstruktionslos frei in die Luft hingestellt. Werthers Schluß ist mit der Axt gehauen: Der Alte folgte der Leiche und die Söhne. Albert vermocht's nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet. Goethe hätte das auch stilistisch fein gliedern und in verbundener Konstruktion ausbauen können; aber er wollte nicht mörteln, sondern unbehauene Quadern türmen. Der Dänenprinz ist nach Aussage der Königin »fett und kurz von Atem«; auch seine Rede? Sterben – schlafen – Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegt's – – das klingt sehr kurz und abgerissen, ist aber nicht asthmatisch, sondern wuchtig, lapidar. Isoldes letzte Worte: ertrinken – versinken – unbewußt – höchste Lust – – konstruiert das Ohr da noch rückwärts, um eine Verbalverbindung aufzuspüren? nein, hier herrscht Satzverzicht, und das Einzelwort entledigt sich der letzten Fesseln. Bei Friedrich Theodor Vischer: »Hund eingetan: Pudel. Lustig und doch sehr rationell. Gutes Vieh. Rührend.« Ein klassischer Fall von Asthma, der gerade so bedeutungsvoll auftritt, weil er den Einwand hervorlockt: »Aber das ist ja Tagebuchstil!« Nur daß dieser Einwand Grund und Folge vertauscht: Vischer wählte den Rahmen des Tagebuchs, um den asthmatischen Auftakt zu gewinnen. Man lese nur die Stelle weiter, um die hohe künstlerische Wirkung wahrzunehmen, die durch den kurzatmigen Auftakt eingeleitet wird. Da sitzt ein Geheimnis der Stilmeisterschaft und zugleich ein Beweis von der Untrennbarkeit stilistischer und gedanklicher Edelwerte. – –
Bedenklicher als der asthmatische erscheint mir der Taumelstil, zu dessen Kennzeichnung wohl noch ein schärferer Ausdruck zu finden wäre. Ich nenne ihn einstweilen so, um auf den Zustand eines Schreibers hinzudeuten, der zwischen einzelnen Worten keinen Halt zu finden weiß, so daß seine Satzgebilde windschief geraten, wackeln und wie besinnungslos dahintaumeln. Hier einige Beispiele ohne Nennung der Urheber, auf deren Namen es in diesem Zusammenhang nicht ankommt:
»Einen blutigen
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