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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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»Titan« vorschwebte. Als eine besonders glänzende Blüte ist mir die Umtaufung von Murgers später veroperter La Bohème erinnerlich (ursprünglich: Scenes de la vie de Bohème), woraus sich »Böheimer Leben« entwickelt hatte; was ungefähr so viel Sinn- und Sprachbedeutung hat, als den Führer des ersten Kreuzzuges Gottfried von Fleischbrühe, den Père Lachaise Vater Stuhl zu nennen, oder mit der Unerschrockenheit vormaliger Berliner Ulkbrüder die Cavalleria rusticana zu einer »russischen Kavallerie« umzukrempeln. Ein Franzose wiederum könnte auf demselben Wege dazu gelangen, Seidels Leberecht Hühnchen als »Vivejuste Cocotte« anzusprechen.
    Vorläufig erfreuen sich ja die Titel noch eines gewissen Rechtsschutzes. Wer heute im Laden Boccaccios Dekamerone unter dem Namen eines »Zehnteilers« verlangt, dem kann es begegnen, daß der Verkäufer zur Kritik des Begehrens mit dem Finger an die Stirn tippt. Aber schon heute kann er ohne Aufsehen zu erregen im Musikladen nebenan Beethovens Heldensymphonie (noch nicht Heldengetöne ) statt der Eroica verlangen, und in gemessener Zeit wird man ihm Volksausgaben vorlegen mit übersetzter Pathétique, Appassionata, mit Chopinschen Übungen (Etüden), Nachtstücken (Nocturnes), Stegreifern (Impromptus) und mit der Liederzählung in weichem G (Ballade in G-Moll). Und abermals in gemessener Zeit wird Clementis Gradus ad Parnassum als Schritt auf den Kunstberg an die Reihe kommen, vielleicht sogar Bachs »Wohltemperiertes Klavier«; ohne eine bestimmte Voransage zu stellen, halte ich nach allem bereits Erlebten Bachs »Wohlgewärmten« Flügel nicht für ganz unmöglich.
    Immerhin werden die Tondichter in der Hauptsache, nämlich in ihren Notentexten, die eine Universalsprache reden, unangetastet bleiben; abgesehen natürlich von den Vortragsbezeichnungen; da Worte und Zeichen wie piano, forte, allegro, presto, crescendo als heimatfeindliche Unholde nicht geduldet werden dürfen. Aber die großen Urheber im Schrifttum wird die Neuerung in die Eingeweide treffen, in die Texte, und in fernerer Zukunft sogar in die Titelköpfe. Horch, der Wilde tobt schon an den Mauern; und sein Programm ist so umfassend, sein Heerruf so dröhnend, sein Troß so gewaltig, daß sich die Büchereien auf die durchgreifendsten Maßregeln gefaßt machen müssen.

Der Weg ins Freie
    Es ist gezeigt worden, daß der genügend gekennzeichnete Weg in eine Sackgasse führt. Die Voraussetzung war die Annahme, daß die neue Forderung versuchen würde, auf das längst vorhandene Schrifttum zurückzuwirken. Fügen wir eine neue Voraussetzung dazu, so ließe sich ein entfernter Ausblick auf einen Weg ins Freie wahrnehmen.
    Diese neue Voraussetzung ließe sich kurz dahin bestimmen: es müßte möglich sein, überhaupt eine neue Literatur zu schaffen. Wird diese Möglichkeit zugegeben, und die Voraussetzung damit erfüllt, dann könnten die Forderer schließlich doch wohl Recht behalten. Es würde ihnen am Ende gelingen, am Gegengemäuer der Sackgasse einen Durchbruch zu erreichen.
    Wir versetzen uns damit in eine denkbare Zukunft. Heute ist es eine immerhin beschränkte Anzahl von Kämpfern, die vor dem eigentlichen Literaturdeutsch, dem verseuchten Deutsch der humanistisch durchtränkten Schreiber, einen Ekel empfinden und diese Empfindung in Wort und Schrift klar bekennen. Griffe diese Empfindung in weiteste Kreise über, gewänne sie richtende Gewalt, so müßte sie die eben genannte Rückwirkung einmal zwingend äußern: in »gereinigten« Ausgaben der vorhandenen Schätze (wie man ehedem ad usum delphini noch ältere reinigte) und in Neuschaffung einer Literatur ohne Ekelsubstanzen.
    Der Versuch, das Vorhandene neu aufzuarbeiten, führt, wie wir sahen, in die Sackgasse. In der Unendlichkeit der Schwierigkeiten bilden schon die Titelbezeichnungen für sich ein unübersteigliches Hindernis.
    Die Gegner werden das leugnen; und wenn sie in der Geschichte der Umformungen sehr beschlagen sind, so werden sie mir sogar mit Gegenbeweisen entgegenrücken. Vielleicht fällt ihnen der folgende ein:
    Es lebte einmal in Alexandrien ein großer Gelehrter namens Klaudius Ptolemäos, der ein grundlegendes Werk herausgab unter dem griechischen Titel: megale syntaxis tes astronomias, große Zusammenstellung der Astronomie. Als dieses Werk nach Jahrhunderten ins Arabische, aus dieser Sprache noch später ins Lateinische übersetzt wurde, erhielt es durch Verkuppelung des arabischen Artikels al mit dem griechischen

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