Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
– ist Unsinn. Er hat eine wahre Wut darauf – die Wut des Eunuchen gegen das, was seinen mangelhaften Organen versagt ist – und geht zunächst darauf aus, dem Gesunden die Sache zu verekeln: er schreibt »Nüankße«, schreibt es so hundertmal, tausendmal, macht ein Plakat daraus, speichelt es an allen Ecken an und glaubt damit den Begriff der Schattierung totzumachen. Denn er weiß genau: bleibt die »Nüance« bestehen, läßt sich die Färbung nicht überpinseln, dann ist er verloren.
Das ist er nun wirklich, denn jenes unendliche Farbenspiel in den Möglichkeiten und Erfordernissen des Ausdrucks läßt sich nicht hinwegdisputieren durch die holzpapiernen Gründe, die dem Sprachdoktor zur Verfügung stehen. Und aus welcher Truhe seiner Wissenschaft sollte er auch andere hernehmen, er, der in der Tendenz erstarrte, der nur die eine Truhe besitzt, vollgepfropft mit Rezepten zur Künstelei? Befragt sie nur einzeln, die Herren, prüft, wie oft bei ihnen die Beschaffenheit der Empfindung dem Maß ihres Wissens entspricht, und ihr werdet euer Wunder erleben.
Gewiß, ihr werdet auch hier löbliche Ausnahmen entdecken, Kenntnisreiche, die nur durch die vorgefaßte Tendenz auf den falschen Strang gerieten. Vielleicht sind sie nur vorübergehend sprach-unpäßlich, nicht eigentlich sprachkrank, wie diejenigen der Gilde, deren Leiden im letzten Grunde auf ihrer »enzyklopädischen Unwissenheit« beruht.
Fex wird sich zur Wehr setzen, weil er sich sehr gebildet vorkommt und sogar das Wort »Enzyklopädie« nach seiner zusammengesetzten Herkunft als einen überaus lästigen Ausländer nachzuweisen vermag. Er ruft mich also zur Ordnung und entzieht mir das Wort, das Fremdwort, denn man kann ja bekanntlich »alles übersetzen«! So übersetze er's mir, mit »Sachwörterbuch« oder wie immer, und ich werde geradewegs behaupten, daß der gute Sinn verschwindet und an seiner Stelle der blanke Blödsinn herauskommt. Es macht nämlich einen gewaltigen Unterschied aus, ob ich eine fertige eingebundene Enzyklopädie, z. B. ein Konversationslexikon, im Auge habe, oder ob ich auf den geschichtlich begründeten Allgemeinbegriff hinweisen will. Aber gerade darauf kommt es mir an, denn ich rede zu Leuten, denen das Wesen der enzyklopädischen Entwicklung aus platonischer Zeit über Diderot und d'Alembert hinweg bis zur Neuzeit bekannt ist, und bei denen ich das Wort nur anzuschlagen brauche, um das Mitklingen zahlreicher zugehöriger Vorstellungen zu veranlassen. Eine Seite Drucktext wäre nötig, um den Begriff »enzyklopädisches Wissen« zu umschreiben, und in fünf Seiten Drucktext könnte man den Sarkasmus »enzyklopädische Unwissenheit« noch nicht verdeutlichen; der trotzdem ganz klar und verständlich ist für einen, der ungefähr eine Ahnung vom Wesen der Sache besitzt. Besitzt er sie aber, so wird er von vornherein für ausgeschlossen erachten, einen derartigen höchst zusammengesetzten Begriff den Übersetzungs- Sportlern zur Verunstaltung auszuliefern.
Da steht schon wieder so ein verbotener Ausdruck; verboten durch Verfügung der Unentwegten, die »Sport« noch nicht für genügend eingedeutscht erachten und dafür verlangen: Kraft-Leibesübung, Spiel, Freispiel, Liebhaberei, Zeitvertreib. Und wiederum werden die Anklänge und Mitklänge, die im Schattensaum des Wortes eingelagerten Färbungen und Töne von stumpfen Organen übersehen und überhört. Nämlich auf irgend einen Einzelsport (Rudern, Jagen, Rennen, Golf, Schach, Sammeln) wird zur Not irgend ein Aushilfswort passen, nur auf den Sport als Ganzes, als Allgemeines paßt kein einziges; weil eben das begriffliche Hinüberklingen verhindert wird. Wenn ich etwa das Briefmarken-, das Münzensammeln als einen Sport bezeichne, so will ich dadurch nicht einfach die Liebhaberei oder den Zeitvertreib ausdrücken, sondern ich will den Sammler und die Zielstrebigkeit seines Gebarens in Vergleich setzen mit dem Rennsportler, Rudersportler; er soll durch den Ausdruck etwas von der Ausdauer, von der Leidenschaft, Verbissenheit und sogar von der Muskelanstrengung des Mannes erhalten, der einer Leibesübung sportsmäßig huldigt. Sage ich also: »Übersetzungs-Sport«, so treffe ich damit eine Eigenheit und Tönung des Übersetzungsbetriebes, das ich sonst durch kein Ausdrucksmittel erreichen könnte, weil einzig der Gesamtbegriff in seinen Ausstrahlungen die Lichter entsendet, die meiner Absicht entsprechen.
Es wäre ganz lohnend, mit einem Unentwegten auf die Reise zu
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