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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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ins Auge faßt, ist er ja auch nichts anderes. Unsere Pol-Expedition wird also eine Drehpunktsfahrt, wir geraten dabei ins Drehpunkts-Eis, und wenn wir in der Polregion einem Polarfuchs begegnen, so haben wir die Wahl, ihn Drehpunktsfuchs oder Angelpunktsfuchs zu nennen. Die langen Drehpunktsnächte vertreiben wir uns mit gelehrten Gesprächen, und mein Reisegenosse wird mir bei dieser Gelegenheit mitteilen, wie er die magnetischen, elektrischen »Pole«, oder gar wie er die Erscheinungen der optischen »Polarisation« in seine Drehpunktsmundart überträgt.
    Ob's ihm gelingen wird, steht dahin; ich wage zu zweifeln. Dagegen wird er schnell fertig mit dem Wort, sobald er daran geht, die umgebenden Erscheinungen im Gegensatz zu seinen Erlebnissen am Äquator zu bezeichnen. Denn der heißt unabänderlich der »Gleicher«, allenfalls die Gleicherlinie, oder auch kurz die »Linie«, wenn durch den Zusammenhang bereits feststeht, daß vom Äquator die Rede ist. Soweit ganz gut; aber der Äquator liefert auch ein schönes Adjektiv »äquatorial« , und das macht ihm das Hilfswort nicht nach; denn »gleicherhaft« oder »gleicherig« klänge doch übel. Nun wollen wir z. B. von den »Äquatorialströmen« sprechen und setzen für sie »Gleicherströme«. Sofort ist der Unsinn fertig. Denn in den Äquatorialströmen der Atmosphäre (die in der Meteorologie und besonders im Doveschen Gesetz eine Hauptrolle spielen) wird gerade die Un gleichheit hervorgehoben, mit stärkster Betonung des Wechsels, des Richtungsunterschiedes, also mit Verleugnung des Begriffes »gleich«. Das Äquatoriale bleibt nichtsdestoweniger in diesen Strömen bestehen; warum wohl? weil der »Äquator« ein Eigenname der Zone geworden ist, unabhängig von der gleichteilenden Eigenschaft der Linie, ein Eigenname, wie »Äquatoria« , die Provinz, wie »Ecuador« , der südamerikanische Staat, der volle fünf Breitengrade einschließt. Will unser Reisegenosse auch Ecuador verdeutschen? als Linie? das hätte genau soviel Sinn, als wollte er die Hauptstadt von Argentinien (»Silberstaat«) nicht mehr Buenos-Aires, sondern »Gute Lüfte«; als wollte er Veracruz »Wahrkreuz« oder die Insel Reunion »Wiedervereinigung« nennen.
    In jener hochnördlichen Zone erleben wir einen Orkan , oder wie der andere sagt: einen »heftigen Sturm« , eine »Windsbraut«. Er legt Wert auf das »heftig«, um damit anzudeuten, daß es »unheftige, sanfte« Stürme gebe. Die Entbehrlichkeit des Fremdwortes liegt auf der Hand, da es doch nur eine Steigerung im Grade ausspricht, und da ein Orkan tatsächlich nichts anderes ist als ein Sturm über die Windstärke 10 hinaus. Das leuchtet ohne weiteres ein; aber dann ist auch das Wort »Sturm« entbehrlich und sollte als überflüssiger Sprachballast abgeschafft werden;
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
Das ist »heftiger Wind«! –
     
    und der Deutschmeister braucht nur die Stärke in Ziffern, allenfalls die Richtung anzugeben, um das ganze Register der Luftbewegungen auf das Einheitswort »Wind« zurückzuführen. Also fort mit dem »Orkan«, der gar kein Recht auf Eindeutschung besitzt, sintemalen er aus sehr übelbeleumundeter Gegend stammt; nämlich von den Karaiben, von denen er im siebzehnten Jahrhundert als ouragan, hurricane, orcaan nach Europa gedrungen ist. Haben wir es nötig, uns mit Worten zu beschweren, die uns die karaibischen Kannibalen vorgekaut haben? Wir sagen also »Wind«, stufen ihn nach Graden ab und übersehen leichtherzig, daß auch der »Wind« (lateinisch ventus ) einmal ein Fremdwort gewesen ist, denn das ist ja schon so furchtbar lange her!
    Bald darauf fesselt uns ein neues Phänomen , eine Erscheinung , die nicht nur erscheinungsmäßig, sondern geradezu »phänomenal« auf uns wirkt: wir entdecken einen Bergkegel, der sich so benimmt, daß uns gar nichts übrig bleibt, als ihm den Titel eines »Vulkans« zu verleihen. Aber mein Fahrtgenosse wehrt sich dagegen, die alte Mythologie in Anspruch zu nehmen, wo ihm doch das gute deutsche Wort zu Gebote steht: »feuerspeiender Berg«. Wiederum nichts einzuwenden, denn daß sein Wort, nach Silben gemessen, genau dreimal so lang ist, fällt nicht ins Gewicht. Nur tritt hier – wie in tausend andern Fällen – der Übelstand auf, daß das »Fremdwort« ein wunderschönes, stets gebrauchsfertiges Adjektiv hergibt, das Deutschwort aber keines; weil es nämlich in dem »feuerspeiend« bereits adjektivisch belastet ist. Wie hilft sich also der Herr? er

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