Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Erhabenheit, Wärme, Glut, Schwung; was dazwischen liegt, nennt er nicht, kann er nicht nennen, eben weil es dazwischenliegt. Und an dem die Zwischenstufen umspannenden Ausdruck sollten wir vorübergehen? wir sollten zerfasern, was sich uns als Einheit bietet? Längst schon besitzt das griechische Wort alle Anwartschaft auf Einbürgerung in den deutschen Sprachschatz, dem wir in diesem Fall um so sicherer dienen, je häufiger wir Pathos ganz einfach mit Pathos übersetzen.
Dimension . Zur Auswahl stehen: Abmessung, Umfang, Ausdehnung, Größe, Erstreckung, Größenverhältnis, Maßverhältnis, Ausmaß, Raumverhältnis, Höhe, Breite, Stärke, Abstand, Raum usw. Unter den verfügbaren Deutschhilfen erscheint »Ausmaß« im wesentlichen noch als die brauchbarste, da sie wenigstens am Sinne Dimension nicht geradezu vorbeigeht. Indes ist es auch dem »Ausmaß« nicht gegeben, anzudeuten oder gar zu erschöpfen, was über die platte, klägliche Anwendung hinaus das Wesen der Dimension ausmacht: nämlich die aus der Vorstellung des Raumes abgezogene Mehrfältigkeit, die innere Berufung auf Länge, Breite und Tiefe, die auf den Urgrund der Flächen- und Raumerfassung deutet und für grundsätzlich verschiedene Anschauungen einen Generalnenner schafft; und eine denknotwendige Beziehung auf irgend welches Koordinatenkreuz. Nur in den Fällen, wo wirklich eine Messung vorliegt oder erfolgen soll, wo Längen-, Breiten-, Höhenwerte eine Rolle spielen und eine metrische Vergleichung erfahren, wäre »Ausmaß« oder »Abmessung« am Platze. Wo aber die rein geometrische Vorstellung oder gar die metaphysische vorschlägt, bleibt das Wort »Dimension« in Alleinherrschaft, wovon man sich leicht überzeugt, wenn man auch nur den Versuch unternimmt, Worten wie »zweidimensional«, »vieldimensional«, mit einer Übersetzung nahezukommen; ein Versuch, der übrigens in den mir vorliegenden Hilfsbüchern gar nicht erst angestellt wird.
Sensuell : Scheint sich sehr leicht mit »sinnlich« zu übersetzen, und in einigen Fällen, wo es auf die genüßliche Begierde ankommt, findet auch vollkommene Begriffsdeckung statt. Aber es schüttelt mich jedesmal, wenn ich den heillosen Mißverstand gewahre, der die »Sensualität« als eine Erkenntniswurzel mit der Sinnlichkeit zusammenwirft. Hier geht die wirkliche Trennung messerscharf: auf der einen Seite die nach der »Lust« gerichtete Lebensfülle, auf der anderen eine durchaus philosophische von bestimmter Sinneswertung abgeleitete Anschauung. Die Gegensätzlichkeit ist so groß, daß man das Sonderwort, wenn es nicht schon bestünde, eigens erfinden müßte.
Milieu : Das Musterbeispiel und Paradestück der Sprachreiniger, die mit dem angeblichen Zauberwort »Umwelt« einen ihrer stärksten Trümpfe ausspielen. Ist nun »Umwelt« wirklich dasselbe, dient es ebensogut dem Erläuterungszweck? Das wäre ernstlich zu bestreiten. Den charakterbildenden, sozial bestimmenden Wert kann »Umwelt« als viel zu weit gegriffen niemals erreichen, kaum anstreben. Nehmen wir ein Beispiel: Zur Umwelt eines Fabrikarbeiters gehört seine besondere Fabrik, die Stadt, das Land, Europa,– sein Milieu bildet die Fabrik allein; sie ist für ihn das bildende Medium, im Sinne des physikalisch wirksamen »Mittels«, und zugleich der Mittelpunkt der Welt. Als man die soziale Bedeutung der engeren Umgebung erkannte, stand es frei, das Wort zu wählen, sofern dieses Wort eben nur verdichtete ,einen möglichst kleinen Ausschnitt bezeichnete und auf die verändernde Wirkung dieser Enge hinwies. Dem Wort »Lebenskreis« fehlt die Beziehung auf das vermittelnde , werkzeughaft umbildende eines Mittels. Der Ausdruck »Nahwelt« oder »Engwelt« wäre möglich gewesen, allein auch nur im Sinne eines dürftigen Ersatzes, der wesentlich das »Örtliche« bezeichnet, das »Bildende« dagegen nur oberflächlich streift.
Fanatisch, Fanatiker, Fanatismus: Für das persönliche Hauptwort wäre »Eiferer« (besser als »Schwärmer« oder »Schwarmgeist«) ein, wenn auch nicht vollwertiger, so doch in manchen Fällen leidlich ausreichender Ersatz. Beim Eigenschaftswort »fanatisch« entsteht mit der Übersetzung »eifernd« oder »eifervoll« bereits eine Begriffslücke, denn ein Mensch, sagen wir ein Schillerscher »Fridolin«, kann im Dienst eifern, ohne sich fanatisch zu betragen. – Die Schwierigkeit wird beim »Fanatismus« unlösbar. Von der Verfolgungswut, die im Fanatismus steckt, ist im Eifer nichts zu spüren, und diese
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