Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
gehen sie an der Hauptsache vorbei, an der Definition. Nämlich weil sie längst definiert wähnen, was ewig undefinierbar bleiben wird. Die Frage: »Was ist ein Fremdwort?« wird noch nicht einmal von der Frage des Pilatus »Was ist Wahrheit?« an Schwierigkeit übertroffen.
Unmöglich bleibt es, aus der Fülle fließender Erscheinungen Bildtafeln herauszuschneiden, sie in Rahmen zu spannen und diese mit gültigen Aufschriften zu versehen, wohl gar aus den Zügen alle Entlegenheiten des Stammes und der Rasse herauszulesen. Das Wort verhält sich in dieser Hinsicht wie der Mensch, da es ähnlichen Bildungsgesetzen unterliegt. Jeder Mensch hat einen Vater, zwei Großväter, vier Urgroßväter, und so steigt die Reihe hinan in scharfer Progression, bis sich die Spuren ins Unerkennbare verlieren. Die Lebensdauer des Einzelwortes mag länger sein als die des Einzelmenschen, seine Ahnentafel gestreckter, aber was aus ihr ermittelt werden kann, bleibt immer nur eine dürftige Linie in ungeheurem Geäste. Denken wir an die letzten Verzweigungen, die vom Dunkel der Jahrtausende überschattet werden, so verliert für uns der Begriff des »Fremden« jeden Sinn; und ebenso werden die Begriffe »schädlich«, »entbehrlich« nur vorläufige Merkzeichen, in engem Bereiche, gewissen höchst veränderlichen Bedürfnissen angepaßt. An sich betrachtet ist kein Wort schädlich, es stamme woher es wolle, und über seine Zweckdienlichkeit entscheidet nicht ein zum Sonderzweck eingesetzter Gerichtshof, sondern die Zeit. Sie allein läßt sprießen und verkümmern, sie stößt ab, was sein Dasein nicht mehr zu rechtfertigen vermag, sie begünstigt lebenskräftige Keime, die der Wind aus aller Welt uns zuträgt, und sie verschafft dem tüchtigen Wort die freie Bahn.
Grenzschutz der Sprache
Das Moralische versteht sich immer von selbst, sagt der Schwabe Vischer, und obschon sein Satz mit einem »Fremdwort« (Weltwort) beginnt, wollen wir ihn als kerndeutsch anerkennen, nach Fassung und Bedeutung. Ohne Rückhalt sei zugegeben, daß auch das Sprachmoralische, die Reinheit, das Deutschtum im deutschen Wort sich immer von selbst versteht; nämlich das Deutschtum, wie wir es im Laufe unserer Untersuchung als für den Bestand und die Entwicklung der Rede und des Schrifttums notwendig erkennen. Wo das Wort wirklich als lästiger Ausländer erkannt wird – nicht von den Fexen, sondern von den Könnern –, möge es sich vom Sprachboden entfernen. Aber seine Ausweispapiere, seine Arbeitsvergangenheit, seine Hilfsleistungen sollen in jedem Falle sorgsam geprüft werden. Wir wollen uns vergewissern, ob wir nicht durch die Verdrängung eines Ausdruckswesens einen Sprachverlust erkaufen, Bedeutungsfülle opfern, um Dürftigkeit einzutauschen, und ob bei der Neubesiedelung des Bodens nicht etwa störende Begriffsverwirrungen eintreten. Und ferner: wir wollen uns jederzeit gegenwärtig halten, daß wir im Sprachlichen neben der inneren Kolonisation auch eine äußere wahrzunehmen haben: daß in unseren entfernten Sprachkolonien Kostbarkeiten wachsen, die uns dem Klange nach fremdländisch ansprechen, aber doch für die Wohlfahrt des Mutterlandes unentbehrlich und deshalb schutzbedürftig sind.
Eine Anzahl dieser Fremdgewächse sei hier zur Untersuchung gestellt. In knappster Form sollen etliche Grenzfälle untersucht werden; vereinzelte Stichproben, die sich zur Gesamtaufgabe verhalten wie herausgefischte Tropfen zum Ozean. Und diese Liste, die sich leicht zu einem ansehnlichen Buche auswachsen könnte, wird eine wichtige Ergänzung der vorhandenen Verdeutschungs-Wörterbücher ergeben.
Pathos . Wörtlich: das Leiden, die Leidenschaft; nur daß mit dem Wörtlichen nicht viel anzufangen ist. Im Pathos lebt nämlich auch eine Gehobenheit, Getragenheit, die nur dem Grade nach mit der Leidenschaft verglichen wird, ohne selbst Leidenschaft zu werden. Ja, in der feinsten Blüte des Pathos waltet sogar die Ruhe . Beethovens Sonate pathetique liefert hierfür ein tönendes Beispiel; nicht minder Nietzsches mit Recht so berühmtes »Pathos der Distanz« , das doch wohl andere Gefühle auslöst, als die bierbanklichen Nörgeleien, die den wundervollen Ausdruck verfolgen. Man unterstelle für »Pathos der Distanz« die »Leidenschaft des Abstands« oder den »Schwung der Entfernung«, und man fühlt statt der Erhabenheit eine leichte Komik und dazu eine innere Verdrehung des Begriffs. Sarrazin nennt in seinem trefflichen Buche u. a.: Würde, Gewicht,
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