Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Wut ist wiederum im Fremdwort nur eine Zutat, nicht der Kern. Wie flau, wie schwammig klingt »bis zum Eifer« gegen das brennende »bis zum Fanatismus«! »Bis zur Wut« aber wäre nur eine Viertelsübersetzung, da drei Vierteile des Begriffs in den Motiven, in den Überzeugungen ruhen, während die »Wut« nur die Hitze ausdrückt, nicht aber den Grund der Hitze. Dieser Grund käme wiederum erst hinein, wenn man z. B. sagen würde: »bis zur Glaubenswut«; nur daß sich damit eine schulmeisterliche Analyse einschleicht, die in Grund und Erscheinung auseinanderspaltet, was im Einheitswort untrennbar zusammengehört. Sarrazin verweist bei Fanatismus auf: Delirium, Ekstase, Enthusiasmus, Exaltiertheit, Exzentrizität, Paroxysmus. Recht so! denn diese Hinweise enthalten an Überzeugungskraft des Wortes wirklich mehr als die zuvor genannten Ersätze: Glaubenseifer, Übereifer, Schwärmerei, Begeisterung und Überspanntheit; genau wie das kraftstrotzende »vulkanisch« bei jedem Versuch einer Umschreibung sofort aufhört, vulkanisch zu sein und zu wirken.
Neutral, Neutralität : »Keiner Partei angehörig, das völkerrechtliche Verhältnis von Staaten, die an einem Kriege auf keiner Seite teilnehmen.« Abgesehen davon, daß »Partei« selbst wiederum ein Fremdwort ist, gibt das Wort »Unparteilichkeit« (oder »Parteilosigkeit«) ein ebenso schiefes wie verschwommenes Bild von der Neutralität. Gerade das wichtigste: Die völkerrechtliche Beziehung und Grundlage fehlt und muß fehlen, sobald wir die langatmige Umschreibung durch ein gebrauchsfertiges reindeutsches Wort zu ersetzen wünschen; eben weil es sich nicht um einen reindeutschen, sondern im Widerspruch um einen Weltbegriff handelt. Bei bloßem Versuch, einer »neutralen Wasserstraße«, einem »Neutralhandel«, einer »bewaffneten Neutralität« mit dem blanken Begriff der »Unparteilichkeit« nahezukommen, spürt man deutlich die gar nicht zu überbrückende Unstimmigkeit. – Ganz neuerdings hat man das Wort »Ohnseitigkeit« für Neutralität herausgestellt, und der erste Bildner des Ausdrucks mag ja dabei eine ungeheure, ganz ohnsinnige Erfinderfreude verspürt haben.
Aktuell, Aktualität : Will man sich nicht auf umständliche Umschreibungen einlassen und verwirft man »wirklich«, »gegenwärtig«, »jetzig«, »dringlich« als gar zu wenig zum heutigen Aktualitätsbegriff passend, so bleibt nur übrig »zeitgemäß«. Man mache sich aber klar, daß hier Fremdwort (Weltwort) und Verdeutschung nur teilweis ineinandergreifen, dagegen in erheblicher Begriffsbreite auseinanderfallen. Brächte eine große Tageszeitung zu Kriegszeiten im Lenz einen Leitartikel über neue Frühlings-Damenmoden, so wäre das »zeitgemäß« (denn der Frühling bestimmt die Zeit), aber keineswegs »aktuell« (denn für den Leitartikel gibt es dann keine Aktualität außerhalb des Krieges und seiner ernsten Begleiterscheinungen). Die Leser der Zeitung würden sich also den Modenartikel an erster Stelle verbitten, weil er, obschon zeitgemäß, der Aktualität geradezu ins Gesicht schlägt. Ebenso erscheint eine Parsifal-Aufführung im Deutschen Opernhaus gegenwärtig durchaus zeitgemäß, ohne daß der Parsifal auf Aktualität Anspruch erhebt. Brächte dagegen irgendwelche übelberatene Bühne ein von aufstachelndem Völkerhaß triefendes Schauspiel heraus, so müßte ein besonnener Zuschauer bekennen: Das ist zwar höchst aktuell, aber ich lehne es ab, weil es nicht zeitgemäß ist. Hier liefert das Gefühl den zureichenden Grund: Das »Zeitgemäße« trägt nach der Seite der Nützlichkeit und Güte eine Nebenbetonung, die dem Aktuellen abgeht. Erschiene in Kriegszeit eine Flugschrift: »Fort mit dem Burgfrieden«, so könnte man sie aktuell nennen, während sie sich, um zeitgemäß zu sein, genau umgekehrt gegen die Störer des Burgfriedens wenden müßte.
Qualität : Ist nicht Eigenschaft, Beschaffenheit, nicht Güte. Die Bezeichnung »Güte« und die ähnlich gemeinten in den Wörterbüchern enthalten ein Werturteil nach der Seite der Zweckdienlichkeit, dazu eine sittliche Wertung in Hinsicht der Würde, von der die »Qualität« frei ist. Nur in einzelnen Fällen, etwa bei einer bestimmten Ware, kann sich Qualität mit Güte decken. Spreche ich aber von einer Sinnes-Qualität, so meine ich eine nur physiologisch zu begreifende Besonderheit des Sinnes, nämlich die des Auges, eine Menge mechanischer Eindrücke zu einer Farbe, die des Ohres, sie zu einem Ton zusammenzufassen
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