Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
verhaßte Welschklang aus populus in Vergessenheit geraten könnte.
Kartaune geht, wie wir oben sahen, als quartana auf quartus zurück; wie auch das Quartal , die Schulklasse Quarta , der Quartaner , das Quartett , das Quartier . Kartaune hat sich der Form nach stärker gewandelt, Quartal usw. haben den Sinn der Grundform treuer bewahrt. Das ist nämlich in vielen Fällen das Entscheidende: erst wenn sich der Sinn verdunkelt hat, erhält das Wort die große Absolution für seine Ursprungssünden und wird in den Staatsbürgerverband aufgenommen. Nichts hindert uns aber, entgegengesetzt zu urteilen und zu erklären: der Schüler der vierten Klasse soll auf einem deutschen Gymnasium auf gut deutsch Quartaner heißen.
Der Pilger ist nichts anderes als der alte peregrinus , und so hat auch der Pilgermantel die Erinnerung an den peregrinus bewahrt, nämlich als »Pelerine« . Nur der Prozentsatz des Fremdwörtlerischen ist verschieden, es besteht darin nur ein Unterschied des Grades, nicht des Wesens.
Der lateinische modus hat sich seiner mehrfältigen Bedeutung entsprechend sowohl zu Maß , als zu Modell, Mode, modern entwickelt. Das »Maß« soll gelten, die »Mode« wird von den ganz Gestrengen verpönt, obgleich sie schon im 15. Jahrhundert als Wort in Deutschland heimatsberechtigt war. Auch Schillers Fürsprache (in der Ode an die Freude) hat dem Wort Mode nicht viel geholfen; wir kommen aus dem Zwiespalt am leichtesten heraus, wenn wir das Verfahren der ganz Gestrengen als eine vorübergehende Mode erklären.
Das massige centum ist im Gewicht Zentner , in der Berechnung Prozent geworden. Bevor es Zentner wurde, war es centenus, centenarius ; dieser Weg war ihm erlaubt, aber Prozent, prozentig; – das geht nicht, das müssen sie verdeutschen. Müssen sie wirklich? dann sollen sie auch für das Fremdwort Zentner Hundertpfünder sagen und es dem Hörer überlassen, ob er dabei an ein messendes Gewicht oder an eine Kanone denken will.
Der alte deus steckt noch in »Dienstag« , zugegeben in alleräußerster Verdünnung; er steckt weit sichtbarer in »ade!« und »adieu!« , aber wehe dem Zeitgenossen, der den lieben Gott auf dem Umwege über Frankreich in den deutschen Gruß hineinbemühen will! Lieber verzichten sie auf den ganzen deus und rufen Guten Morgen, Guten Abend, Empfehle mich Ihnen, damit bloß der verwelschte deus aus der Anrede verschwinde. Einige sagen allerdings (für den Norddeutschen beinahe mundartlich): »Grüß Gott«, und glauben damit auf unanfechtbarem Deutschgrund zu stehen. Aber auch das »Grüß« war einmal Fremdwort, als es in unmerklichen Umbiegungen aus der griechischen Formel χαῖρε, chaire, zu uns hinüberwanderte. Erscheint es nicht viel einfacher, das ade und adieu, adjö, nachdem es milliardenfach von deutschen Lippen erflossen, als Bestandteil deutscher Sprache anzuerkennen? und dabei festzustellen, daß der alte deus in dieser Gestalt bei uns nicht nur Volksrecht, sondern sogar Volksliedrecht gewonnen hat?
Es gibt auf diesem Wege kein Aufhören. Je mehr Beispiele man behandeln will, desto mehr bleiben als unerledigt zurück. Aber schon beim hundertsten müßte es völlig erwiesen sein, was das tausendste nur noch zu bestätigen, nicht mehr zu beweisen hätte: auf die Frage, was ist Fremdwort? gibt es keine Antwort. In unermeßlicher Anzahl waren sie Fremdworte, die nämlichen Lautgebilde, die längst deutsch geworden, oft genug ununterscheidbar von den teutschesten Urworten. Sie waren es in Zeiten, da sie die Möglichkeit fanden, sich einzudeutschen, da keine Verbieter auf allen Wegen umherlauerten, um das Eindringen fremden Sprachgutes zu verhindern, das Aufsprießen aus fremden Wurzeln zu verhüten. Und wie sähe die Sprache aus, wenn die Aufpasser schon vor Jahrhunderten ihr Werk geübt hätten, mit welcher Verödung, Verkümmerung, Verarmung hätte sie solches »Reinigungswerk« von anno olim bezahlt! Und wie sehr ist sie mit ihrer heutigen Pracht und Fülle den Vorfahren verpflichtet, die in aller Einfalt das Gute nahmen, wo sie es fanden, die es in aller Freiheit nehmen und verarbeiten durften!
Wäre die Sprachkunde nicht nur ein gelehrtes Wissen, sondern eine exakte Wissenschaft wie Physik und Astronomie, so würde sie den Prozentsatz des Fremdwortlichen im Einzelwort genau bestimmen können. Wir würden dann etwa feststellen: Meister enthält vom Stammwort magister nur noch 20%, Magistrat enthält 90%, der Trennungsstrich aber, der Deutsch von Nichtdeutsch
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