Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
käme man noch nicht aus beim »Parlamentarischen System« und bei »Parlamentarisieren«. Der Zielpunkt des Ausdruckes bleibt die Regierungsform, bei der das Schwergewicht und die Entscheidung im Parlament ruht, wobei das Parlament nicht als ein Gebäude, nicht als eine Summe von Abgeordneten aufgefaßt wird, sondern als der in beauftragten Personen verkörperte Volkswille. Und für diese unvermeidbare Länglichkeit gibt es nur eine einzige verständliche Abkürzung: Parlamentarismus. Wer diesen befördert, der parlamentarisiert. Oder sollten wir dafür sagen: »er vervolkshäusert«, oder »er regierungskammert«, oder »er verabgeordnet«, oder »er volkswillkräftigt«? Vielleicht erleben wir's noch, denn das Gebiet des Sprach-Ulkes für die tiftelnden Erfinder ist unermeßlich.
Problem : Wie der Sprachverkünstler einzelne Begriffswurzeln herausreißt, den Teil als das Ganze vorspiegelt, so täuscht er auch in umgekehrtem Sinne, wenn er auseinanderliegendes zusammenwirft und Dinge aus verschiedenen Betrachtungsflächen in eine einzige zusammenschmuggelt. Das »Problem« wird ihm zur »Aufgabe«, zur lösbaren oder unlösbaren, gleich allen anderen Aufgaben, die Schule oder Werktag an den Menschen stellen. Man kann sich durch diese Betrachtungsart mancherlei im Leben erleichtern; z. B. der Elefant ist ganz bestimmt ein Rüsseltier, und die Fliege ist auch eins. Man kann also im Dschungel mit Stahlgeschossen und ebenso an der Stubenwand mit der Lederklatsche auf Rüsseltiere Jagd machen, und kein Zoologe dürfte sich dieser Vereinheitlichung widersetzen. Nichtsdestoweniger wissen wir, daß der Elefant nach Größe und Rang etwas anderes bedeutet, als die Fliege, und so kann es uns auch zum Bewußtsein kommen, daß ein Problem nicht schlechtweg in die Ebene der gemeinen Aufgaben hineingehört. Der Tertianer, der den Pythagoreischen Lehrsatz an der Tafel beweisen soll, steht vor einer Aufgabe, unter Umständen vor einer unlösbaren. Als aber Pythagoras sich anschickte, den Lehrsatz aufzustellen und zu beweisen, stand er vor einem Problem. Soll ich alle Rüsseltiere der Naturgeschichte aufzählen und hinschreiben, so blüht mir eine Aufgabe; habe ich aber die Natur des Rüssels morphologisch zu entwickeln, so gerate ich an ein Problem. Ein Schachproblem ist zunächst nichts weiter als eine Schachaufgabe. Hier findet Deckung statt. Tritt indes die Frage auf, ob die Anzahl der Schachprobleme endlich sei oder unendlich, so liegt schon in der Formulierung der Frage etwas jenseits der Aufgabe, nämlich ein Problem. Eine Aufgabe bewältige ich, wenn ich auf verkehrte, mißglückte oder unzureichende Verdeutschungen der landläufigen Handbücher eingehe; wenn ich mir aber einen Geisteszustand vergegenwärtigen will, in welchem das »Problem« restlos nichts anderes auslöst als eine Aufgabe, so gerate ich an ein Problem, und wie ich hinzufüge, an ein unlösbares. Damit hängt es auch zusammen, daß die Verkünstler in der Übertragung von »problematisch« fast durchweg die »Aufgabe« fallen lassen; sie sagen: – zweifelhaft, unentschieden, fragwürdig, dunkel, noch zu lösen; weil sie sich eben bei aller Flachdenkerei dunkel des Umstandes bewußt sind, daß das »Zweifelhafte« im »Problematischen« nicht unbedingt auf eine »Aufgabe« zurückgeht, sondern bisweilen doch auf ein Problem, das einer anderen Denkordnung angehört.
Phantasie : Die Erörterung über diesen Ausdruck könnte sich zum Teil mit den bei »Illusion« aufgestellten berühren. Aber die Phantasie beansprucht auch eine Sonderstellung, da sie nicht nur als etwas planlos schweifendes gedacht wird, sondern oft als ein fertig abgeschlossenes, zumal künstlerisch vollendetes uns entgegentritt. Der Dichter verfaßt eine Phantasie an die Geliebte, an den Mond; die Illusion, das Visionäre, Traumhafte spielt dabei eine Rolle, und er weiß das. Aber wie soll er das fertige, in Niederschrift oder Druck vorhandene Kunstgebilde nennen? Einfach Dichtung oder Ode? Das genügt ihm nicht, denn er will die phantastische Dichtung betonen. Er wird also auf die stelzbeinige Übersetzung gedrängt: »Einbildungsdichtung«, »in Gedanken umherirrende Dichtung« – oder vielleicht »Traumbild«, wie ihm die Übersetzer vorschlagen? Das mußte er schon aus Gründen des Sprachgefühls verwerfen, denn »Traumbild an den Mond« ist grammatisch falsch. Schumann schrieb die C-Dur-Fantasie, Chopin die Fantasie in F-Moll; fertig ausgewachsene Stücke, von der Einbildungskraft
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