Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Und den Schluß dieser wilden Szene (da sich Leonore als Florestans Weib zu erkennen gibt) siegelte kein gewohnter Dreiklang – ganz unaufgelöst und glotzäugig ein verminderter Septimenakkord!«
Eine Tonfolge aus Eisen, Eisen als Handschrift, ein erwarteter Dreiklang als Siegel, – auf solche Metaphern ist man eingerichtet, sie liegen im Rahmen notwendiger Vergleiche. Aber das Adjektiv »glotzäugig« wirkt an dieser Stelle geradezu überrumpelnd, mit fabelhafter Stärke, wie ein Triumph des Wortes über die Logik. Es tritt auf wie das große Los in einer Lotterie von hunderttausend Nummern. Wie in aller Welt kommt ein verminderter Septimenakkord dazu, die Gestalt eines Auges anzunehmen, eines abnormen, unschönen Auges, das nun gerade dadurch, daß es glotzt, die ungeheure Gewalt dieser Tonstelle uns versinnbildlicht?! Es ist ein Sprachwunder und nicht das einzige in dem genannten Werk; und ein Beweis für die Leistungsfähigkeit des Adjektivs, wenn man ihm erlaubt, gegen alle Vorschriften der Logik sich einen substantivischen Gefährten zu suchen. Nur ein Sprachmeister ersten Ranges vermag für solche Verbindung die Möglichkeit aufzuspüren. Die dichtenden Neutöner unserer Tage versuchen ähnliches in der entgegenkommenden Unlogik lyrischer Gestaltung; aber sie erschöpfen sich in krampfartigen Versuchen und bereichern zumeist nur die Sprachmöglichkeiten des Kabaretts. Wie die Dinge sich entwickelt haben, ist die Hochkultur des Adjektivs nur von Meistern der Prosa zu erwarten.
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Leopold Kronecker , der bedeutende Mathematiker, entwickelte einst das folgende Gleichnis: Man hat sich jedes Wort einer Sprache vorzustellen wie eine runde Scheibe , mit der man einen gewissen Teil einer Fläche zu bedecken versucht. Da wo diese Scheiben aneinanderstoßen, entstehen naturgemäß unbedeckte Lücken. Diese Zwischenräume sind das, was mit den Worten einer Sprache nicht ausgedrückt werden kann. Aber je mehr Kreisscheiben aus anderen Sprachen zur Verfügung stehen, um so vollständiger werden wir die Fläche bedecken können.
Dieses Gleichnis muß aber noch stark erweitert werden, um der Wirklichkeit nahezukommen. Denn die runden Scheiben stoßen nur ganz vereinzelt aneinander bei den nächstverwandten Begriffen. Wäre es möglich, das ganze Kreisexperiment sichtbar durchzuführen, so würde man entdecken, daß man eben erst angefangen hat, das Feld anzugreifen. Nur in der Mitte der Fläche finden Berührungen statt, darüber hinaus weiten sich die Lücken zu Gebieten, auf denen alle Wortscheiben aus allen Sprachen der Welt nur wie verstreute Pflästerchen sitzen würden.
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Zum eisernen Bestand der satirischen Blätter gehören die bildlich dargestellten Mischformen »zur Darwinschen Theorie«. Man sieht da Zwittergebilde zwischen Ente und Frosch, Ziege und Schildkröte, Maki und Uhu, und die Fantasie der Zeichner wird in der Unendlichkeit der Kreuzungsmöglichkeiten niemals zur Ruhe kommen.
Der Beschauer findet das jedesmal höchst komisch, denn jede einzelne Mischform stellt doch einen grotesken Unsinn dar; bis dann irgendwo ein Petrefakt aufgefunden wird, das einen bestimmten Unsinn als eine Wirklichkeit aufzeigt. Vor den Entdeckungen von Marsh wäre ein Vogel mit Zähnen im Schnabel nur als Scherzfigur möglich gewesen. Aber der Archäopteryx ist ein echter Vogel und hat dennoch einen bezahnten Kiefer. Diese Mischform hat also ihre Komik verloren, da sie sich über ihre zoologische Richtigkeit ausgewiesen hat.
Bei manchem Sprachgemengsel kann ähnliches beobachtet werden. Wer unterschiedslos Deutsch und Englisch zusammenquirlt, kann damit Posseneffekte erzielen, und uns allen erscheinen die Proben von Pennsylvanisch als drollige Ausgeburten, keineswegs als ernstzunehmende Sprache. Einem in Cleveland erscheinenden Magazin entnehme ich folgende Kauderwelschereien:
Ein Deutscher geht mit einem Trunk in der Hand durch eine Elle in seine Residenz ; dort läßt er sich einen Besen geben, um sich zu waschen, bürstet seinen Kot und ißt Motten . Er hatte sich anfangs durch seine Leber mühselig sein Vieh verdienen müssen. Später kam er in eine Bank, wurde Teller mit guter Sellerie und schickte am Jahresschluß ein schönes Weihnachts gift und einen Neujahrs wisch in die alte Heimat. (Zur Erklärung diene die Worttabelle: trunk: Koffer; alley: Allee, Gäßchen; residence Wohnung; basin: Waschbecken; coat: Rock; moutton: Hammelbraten; labour: harte Arbeit; fee: Lohn; teller: Kassengehilfe, »Zähler«;
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