Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
für uns deutsche Menschen, denen sich durch Vererbung und Gebrauch der Vokal mit der Farbe zur einheitlichen Vorstellung organisiert hat, für uns liegt in diesem Zusammenhang eine Gefühlsnotwendigkeit. Der Vokal »ü« hat für uns etwas Grünes, und in der Farbvorstellung Rot schwingt etwas vom Vokal »o«. Und dieses Etwas schwingt noch weiter. Wenn man sich z. B. eine Rose von bestimmter Farbe vorstellen will, so liegt es am nächsten, an eine rote Rose zu denken, nicht weil ein begrifflicher Grund hierfür vorliegt, sondern weil das »o« in Rose und das »o« in Rot klanglich aufeinander eingestellt sind.
Das »o« besitzt aber auch zudem im Klanglichen ein gewisses Übergewicht, das sich zwar jeder Messung entzieht, aber wahrnehmbar wird, wenn man die Aufmerksamkeit auf die Klangworte selbst richtet. Das »o« ist für uns um einen Grad tönender als die andern Vokale. Vom eindringlichen Ausruf oh! oho! angefangen bis zum Walkürenruf hojotoho! zieht sich eine auf »o« abgestimmte Skala, in deren Sprossen sich Ton, Chor, Vox, Vokal, Glocke, Orgel, Donner, Wort befinden, dazu aus uns geläufiger Sprache die Endung phon, von phoneo, phtongos (davon Diphthong), oro, loquor, sonor, oratorisch, rhetorisch, Tenor usw. Selbstverständlich ist nicht von einer Ausschließlichkeit die Rede, sondern eben nur davon, daß unserem Ohr das »o« um einen Grad onomatopoetischer vorkommt, sobald wir Worte von innewohnender Klangbedeutung sprechen oder hören. Übersetzen wir uns nun oratorisch, rhetorisch, mit rednerisch, schönrednerisch, so mag das dem Inhalt nach recht genau sein, nur der kleine mitschwingende Gefühlston kommt nicht mit hinüber, und es ist uns, als ginge uns im Klangwert etwas verloren, weil das betonte »o« fehlt. Grobsinnlich ist das freilich nicht zu ergreifen, ich habe indes die Erfahrung gemacht, daß jeder Feinfühlige es erfaßt, sobald er darauf besonders hingewiesen wird.
Mit solchen Gefühlsbetonungen ist weiterhin zu rechnen, sobald die Lautgruppen »o«–»a« oder »a«–»o« hervortreten. Das »a«, nicht so elementar wie das »o«, tönt mit einer gewissen Weihe, zu dem sich das »e, i, u« und die Doppellaute seltener und minder in Grade erheben.
Kirchenlied sagt wohl ziemlich dasselbe wie Choral, aber das Wort Choral atmet voller und besitzt in seinem Vokale eine etwas stärkere Betonungsweihe; es steckt in ihm mehr Gnadenklang und eine magistralere Akustik (so wie auch Dom und Kathedrale der Kirche und dem Münster durch ihre Vokale akustisch überlegen sind). Gesetzt, es wäre möglich, das Wort Pathos vollkommen sinngetreu zu übersetzen, so würde eine wirkliche Gleichwertigkeit doch nur dann entstehen, wenn auch die Gefühlsbetonung in »a–o« ungeschwächt hinübergenommen werden könnte. Diese ändert sich aber bei jeder Übersetzung, und das Unterbewußtsein meldet einen leisen Widerspruch an, weil es diese besondere Vokalfolge von Pathos vermißt. Darum genügt uns auch nicht Urgemisch für Chaos, und wüst für chaotisch, ganz abgesehen davon, daß hier der Verstand seine besondere Einrede erhebt. Im Unterbewußtsein regt sich eine auf das Phonetische gerichtete Sehnsucht, die sich mit Worten vielleicht nur tautologisch bezeichnen läßt: Chaos klingt chaotischer als jede Übersetzung, es trägt schon im Klange die an das Chaotische erinnernde Gefühlsbetonung.
Das sind nur Anfänge von Hindeutungen, gewisse lose und zunächst sehr angreifbare Versuche, dem schwierigen Problem der Gefühlsbetonung etwas näherzukommen. Wesentlich erscheint mir zunächst, hier überhaupt ein Problem zu wittern und den Leser nach dieser Richtung anzuregen. Folgt er ihr, so wird er im Sprachklanglichen schon heute Erscheinungen wahrnehmen, die erst in einer Phonetik der Zukunft nach ihrem vollen Wert erkannt werden können.
Solche Erscheinungen werden schon merklich, wenn wir uns bemühen, den Grenzen von wirklicher und vermeintlicher Onomatopoiie nachzuspüren. Welche Hindernisse findet die Sprache in ihrem eigenen Lautgefüge bei der Nachbildung der Naturlaute? welche Rolle spielt hierbei die Anordnung der Konsonanten? Ist es Tücke des Objektes oder Naturnotwendigkeit, daß sich auf gewisser Stufe der Onomatopoiie unüberwindliche Härten einstellen? »Im Röhricht seufzt's und ächzt's und krächzt's« – das ist eine ganz hervorragende Leistung der klangmalenden Sprache, aber zeigt sich hier nicht ein Widerspruch zwischen Naturlaut und möglicher Menschenrede?
Und das sind
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