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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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der Vielzuseltenen. Höret auf ihn und nicht auf die Vielzuvielen.
    Alle Wissenschaft hat, nach Machs Erkenntnis, die Aufgabe, Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen, durch Nachbildung und Vorbildung von Tatsachen in Gedanken. Die Erfahrungen ganzer Geschlechter werden durch die Aufbewahrung in Bibliotheken späteren Generationen übertragen und diesen daher erspart. Diesem ökonomischen Charakter der Wissenschaft entsprechend ist auch die Sprache als das Mittel der Mitteilung eine ökonomische Einrichtung. Die Schriftsprache nähert sich allmählich dem Ideale einer internationalen Universalschrift, denn sie ist keine reine Lautschrift mehr. Die Lautsprachen sind noch durchaus national und werden es voraussichtlich noch lange bleiben.
    Auf eine Voraussage über diese Zeitlänge läßt sich Mach nicht ein. Ihm genügt es, die Richtung des Weges zu bezeichnen und den Grenzwert zu bestimmen, den auch die Lautsprache in irgendwelcher Zukunft erreichen muß. Unsere heutigen Wünsche, Hoffnungen und Befürchtungen spielen demgegenüber keine Rolle. Das Ersparnisprinzip setzt sich durch, als eine Form des Naturgesetzes, das die Erzielung der größten Wirkung mit dem kleinsten Kraftaufwand verlangt. Dieses Prinzip kennt nur die Zweckdienlichkeit, nicht die Schönheit, und schreitet über die Leichen mancher ästhetischer Werte dahin; in eine sehr ferne Zeit hinein, die vielleicht keine Waldlyrik, aber bestimmt keine Kriegslyrik mehr kennen wird.
    *
     
    Man mag Sprachfragen aufstellen wie man will, ein Grundzug bleibt allen gemein, und auf irgend eine Weise gerät man immer wieder ans Fremdwort, weil im Weltwort ein Teil der zukünftigen Weltgestaltung beschlossen liegt. Wir sind uns freilich dessen nicht bewußt, wenn wir uns um diese oder jene Bedeutung, um diese oder jene Übersetzung streiten; aber in jedem Teilstreit steckt, unendlich verdünnt, der Gedanke an die Zukunft nicht nur der Sprache, sondern der Menschenschicksale überhaupt. Wüßten wir Schreiber in einem einzigen Falle die restlose, absolute Lösung, so wären wir aus aller Not heraus. Es ist der Schreiber ewig Weh und Ach, so tausendfach, aus einem Punkte zu kurieren. Bei Goethe heißt es nicht Schreiber, sondern Weiber, aber das Fremdwort kurieren steht genau so bei Goethe, und alle Schreiber der Welt könnten es nicht übersetzen.
    *
     
    Die Sprachlogik läßt sich nicht in Regeln pferchen; was heute falsch klingt, kann morgen richtig klingen und umgekehrt. Es kommt immer nur darauf an, wie der Redeteil sich in den Gebrauch des Tages, des Jahres, des Jahrzehntes einfügt.
    Der Schüler von heute bekommt einen Wischer, wenn er das Partizip so leichtsinnig anwendet, wie ein Klassiker, wenn er etwa im deutschen Aufsatz schreibt: »die vorstürmende Schlacht«, »der ankurbelnde Motor«, »die selbstladende Flinte«, oder gar »der einpackende Koffer«. Junge, hast du denn gar keine Logik im Leibe? begreifst du denn nicht, daß nur ein Mensch, nicht aber eine Sache oder ein Abstraktum vorstürmen, kurbeln, laden und packen kann? Aber Schiller und Goethe durften von wohlschlafender und schlechtschlafender Nacht reden, und Werther durfte schreiben: »Wollen Sie mir wohl zu einer vorhabenden Reise Ihre Pistolen leihen?«
    Damals war's logisch, heute ist's unlogisch, in irgendwelcher Zukunft kann es sich wieder in schönster Logik befinden. Die Gegenwart eröffnet bereits Ausblicke: Ohne Zögern schreibt der Erzähler »Die Leiche des erschlagenen Feindes wurde jubelnd umtanzt«, und die jubelnde Leiche stört ihn nicht im geringsten; im Bankdeutsch sind die »dorthabenden Effekten« keine Seltenheit, und in der Kaserne ergeht bisweilen ein Dienstbefehl an »die vormittags nach der Scheibe geschossenen Mannschaften«. Der Schulmeister des einundzwanzigsten Jahrhundert wird sich vielleicht über den Deutschpauker von heute lustig machen, der so gar keine Ahnung von der Verwendbarkeit des Partizips hatte.
    Heute zerbricht man sich den Kopf darüber, ob man Eigenschaftswörter mit »-weise« bilden dürfe. Ein Schauspiel mit »teilweiser« Benutzung eines älteren Stoffes, das geht nicht, denn »-weise« ist doch Umstandswort. Der Dichter hat den Stoff teilweis benutzt, aber wenn er das Wort adjektivisch an die Benutzung klebt, so treibt er Sprachunfug. Eine ausnahmsweise Erlaubnis, zwangsweise Vorführung eines Zeugen, vorzugsweise Befriedigung, – schauderhaftes zivilprozeßliches Undeutsch.
    Aber bei Lessing, Goethe und Schiller gibt es »stufenweiser

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