Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
voller Kehle.
Der Mann schaute aus schwindelnder Höhe auf das Schiff herab. Lunetta sah, dass er in der Hand ein Tau hielt. Was, zum Teufel, hatte er vor? Die Galeone glitt immer weiter in den Fluss hinein, bald würde sie die Brücke passiert haben.
Lambert ließ das Seil herab. Hinter ihm tauchten Wächter auf dem Turmdach auf. Lunetta sah Luntenrohre blitzen. Soldaten machten ihr Pulver bereit. Lambert klammerte sich an das Seil und tat einen Schritt ins Leere. Das Seil schwang aus, und er schwebte über dem Fluss. Langsam ließ er sich tiefer hinab.
Ein Turmwächter ließ sein Schwert auf die Seilschwinge bei der Zinne herabsausen. Es riss.
Lamberts Füße fanden im letzten Moment Halt auf dem Sims eines Bogenfensters. Er klammerte sich an einen der Fensterpfeiler. Darunter verlief ein Vorsprung aus Schmucksteinen, ein schmales Band, das den gesamten Turm umschloss. Lambert stieg vorsichtig darauf hinab. Die Brust eng ans Mauerwerk gepresst, seine Hände in die Ritzen gekrallt, arbeitete er sich auf dem Sims bis zum äußersten Ende des Turmes und die Öffnung bei der Zugbrücke vor.
Immer noch bewegte er sich in großer Höhe, etwa auf halber Länge der hinteren Mastbäume der Galeone, deren Heck gerade noch zwischen den Brückenpfeilern schwamm.
Lambert klammerte sich ins Mauerwerk und schaute hinab. Er zögerte.
»Spring!«, schrie Lunetta. »Spring jetzt!«
Lambert stieß sich ab, Lunetta schloss die Augen. Ein dumpfes Krachen ließ die Planken vor ihr erzittern. Dann herrschte Stille. Lunetta wagte es nicht, die Augen zu öffnen.
»Der ist tot!«, hallte ein Schrei von der Höhe des Turmes zu ihr herab. »So tot wie ein Sargnagel!«
Eine Hand zog Lunetta nach hinten. Sie riss die Augen auf. Vorn am äußersten Rand des Achterkastells lag eine Gestalt in schwarzgelber Tracht. Das Wappen der Löwensteins prangte auf ihrem Rücken. Der eigentliche Besitzer dieser Kleidungsstücke, ihr Vater, wollte Lunetta zu sich umdrehen.
»Schau nicht hin«, sagte er schroff. »Schau nicht hin!«
Wieder das Flitzen von Füßen, schrille Pfiffe von der Signalpfeife des Maats. Weitere Matrosen sprangen die Treppe hinauf, rasten über das Achterkastell, beugten sich über die tote Gestalt.
Lunetta schrie wie irrsinnig. Ihr Vater presste ihr Gesicht gegen seine Brust, umarmte sie fest.
»Ein Wunder!«, rief in diesem Moment einer der Schiffsknechte. »Gott hat ein Wunder gewirkt!«
Lunetta riss sich aus den Armen ihres Vaters los. Ungläubig sah sie, wie sich Lambert unter den Blicken der verblüfften Soldaten zu regen begann.
Sie eilte zu ihm hin, kniete sich neben ihn.
»Lambert, Lambert!«, rief sie leise. Der junge Mann stöhnte. Sie sah das Blut, das sich purpurfarben mit dem Feuerrot seiner Locken mischte. Legte eine Hand vorsichtig an seinen Kopf. Lambert drehte ihr das Gesicht zu. Seine Augen waren halb geschlossen, die Lider flatterten.
» Buenos dias , kleine Gauklerin«, murmelte er. Sein Blick trübte sich.
»Holt den Schiffsarzt«, schrie Lunetta. Vorsichtig hielt sie Lamberts Kopf, versuchte ihn vor den schaukelnden Bewegungen des Schiffes zu schützen, tastete nach Verletzungen.
»Liebster, du wirst leben«, flüsterte sie. »Ich weiß es.«
Lamberts Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln. »Wenn ich sterbe, dann in deiner Nähe. Mehr will ich nicht. Mehr …« Seine Stimme erstarb.
15.
Hornlaternen beleuchteten die Kabine des Kommandanten. Es war ein vergleichsweise komfortables Gelass. Ein Kojenbett war in den Planken verankert, mit Daunendecken und Kissen ausgerüstet. Darauf ruhte Lambert. Der Schiffsarzt hatte seine Untersuchung beendet, ihm den Kopf mit Leinenstreifen verbunden und seine Kleidung aufgeschnitten.
»Die gebrochenen Rippen bereiten mir Sorge«, sagte er jetzt zum Grafen und Lunetta, die neben dem Bett ausharrten. »Eine könnte seine Lunge durchstechen. Das zerschlagene Bein ist weniger schlimm, der Knochen ist gerade durchtrennt. Ich habe es schienen können. Aber was mit seinem Schädel ist?« Der Mann schüttelte sorgenvoll den Kopf und verstaute seine Instrumente in einer hölzernen Trage.
»Wird er die Überfahrt überleben?«, fragte der Graf.
Lunetta spürte, wie ihr das Herz bis zum Halse klopfte.
Der Schiffsarzt zuckte mit den Achseln. »Das liegt in Gottes Hand, und anscheinend ist er diesem Burschen wohl gesonnen.«
Er schlug ein Kreuz und verabschiedete sich.
»Du musst ein wenig schlafen«, sagte der Graf zu seiner Tochter.
»Ich werde bei ihm
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