Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
wachen«, erwiderte Lunetta und schob einen schweren Lehnstuhl an Lamberts Lager. Das Schiff fuhr noch auf der Themse, bewegte sich sanft in der Strömung. Der Graf nahm seufzend am Kartentisch des Kommandanten Platz. Es hatte ihn ein stattliches Sümmchen gekostet, diese Kabine zu mieten, aber es war der ruhigste Ort an Bord, und das Krängen und Rollen des Schiffes, das sie auf See erwartete, würde hier am wenigsten zu spüren sein.
Lunetta beugte sich in ihrem Stuhl vor und betrachtete Lamberts bleiches Gesicht. Seine Miene war so starr, der Mund so ernst. Stumm begann sie zu beten.
Zwei Stunden später, die Schiffsglocke hatte viermal geschlagen, begann das Schiff zu schlingern, nahm rollende Bewegungen auf, die verrieten, dass es in die Themsemündung eingefahren war, wo Fluss und Meer sich begegneten.
Der bewusstlose Lambert schien die Bewegungen zu spüren, seine starre Miene belebte sich, Schmerz durchzuckte seine Züge. Lunetta beugte sich vor, legte sanft die Hand an seine Wange.
Lamberts Gesicht entspannte sich, sie sah, dass seine Lider flatterten, beugte sich weiter zu ihm vor.
Der junge Mann schlug die Augen auf. Noch immer war sein Blick getrübt, aber seine Lippen kräuselten sich sacht. Lunetta sah es mit Freuden.
»Du hast es geschafft, Lambert, du hast es geschafft«, flüsterte sie.
Lambert versuchte den Kopf zu schütteln und stöhnte. Scharf wie eine Klinge fuhr der Atem in seine Lunge. Er hatte Mühe zu sprechen. »Nicht ich, sondern der verflixte Affe. Ein verliebter Affe hat den Teufel besiegt. Er sprang Aleander direkt in den Nacken, dadurch konnte ich ihn abschütteln, bevor …«
»Nicht jetzt«, sagte Lunetta sanft. »Erzähle es mir später. Wir haben genug Zeit. Schlafe, Liebster. Schlafe.«
»Ich will nicht schlafen«, wehrte Lambert ab. »Ich muss dich ansehen, um zu glauben, dass alles ein Ende hat.«
Lunetta senkte den Blick. »Aber was ist mit deiner Sorge wegen der Mordanklage?«
Lambert stöhnte erneut. Die Schmerzen waren beträchtlich. Er biss mit aller Kraft die Zähne zusammen. »Sorge dich nicht«, brachte er hervor, und in seine Stimme mischte sich etwas von seinem gewöhnlichen Spott. »Chapuys hat bereits einen Plan.«
Lunetta wagte ein zaghaftes Lächeln. »Was sonst!«
16.
K ÖLN , 10. M ÄRZ 1536
»Hostia! Er hat überlebt? Dieser Hurensohn! Er hat den Tod hundertfach verdient!«
Zornig wirbelte Gabriel Zimenes herum und fuhr mit den Augen über die Anwesenden. Es war der erste Missklang an diesem unvergleichlich lauen Frühlingsabend. Der März war gekommen wie ein Lamm. Zarte Knospen schwollen an den Zweigen der Apfelbäume, in hellem Grün entrollten sich an den Birken die ersten zarten Blätter im Garten van Bercks.
Die Familie saß im Hinterzimmer des Hauses, dem privatesten Gemach, dessen Fenster auf den Hinterhof gingen und das allen neugierigen Blicken entzogen war. Das Tschilpen von Spatzen drang zu ihnen herein.
»Nicht so laut, Gabriel! Das Gesinde könnte dich hören und sich wundern, was wir alle hier treiben.« Sidonia erhob sich von ihrem Sessel, um das Fenster zu schließen.
Gabriel kam ihr eilig zuvor. »Setz dich, mi corazón «, sagte er mit der übertriebenen Zärtlichkeit eines werdenden Vaters.
Sidonia strich sich lächelnd über den Unterleib. »Es ist doch noch Monate hin.« Glücklich zwinkerte sie Lunetta zu, die auf einem Schemel zu ihren Füßen hockte und lächelte. »Deine Karten waren ein Segen«, flüsterte sie.
Lunetta schüttelte den Kopf. »Nein, dies Wunder hat Gott gewirkt, und ich werde mich nie mehr in seine Werke einmischen, selbst wenn ich es noch könnte!«
Strahlend blickte sie zu Lambert hinüber, der beim Kamin stand. Was kümmerte es sie, dass der elende Aleander von Löwenstein überlebt hatte! Sie und Lambert waren gerettet, das allein zählte.
Der junge van Berck hob kurz den Blick von dem Brief, den er eben vorgelesen hatte, und erwiderte ihr Lächeln. Neben ihm lehnten die Krücken, auf denen er sich immer noch fortbewegen musste. Er wandte sich wieder den Briefbögen zu. Das Schreiben stammte von Eustace Chapuys.
Der Graf trat zu ihm und nahm ihm das Schreiben ab, um es erneut zu überfliegen. Lambert behielt ein Pergament zurück, das ein schweres kaiserliches Siegel trug.
»Lass mich das sehen«, rief sein Vater, der aufgeregt im Raum auf und ab gegangen war. Sein Leib hatte beträchtlich an Fülle verloren, er war noch immer blass von der überstandenen Krankheit und den Wochen voller
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