Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
an seinen Schleppdegen.
»Nun hin ich wahrhaft die Königin von England« , hatte die zweite Gemahlin Heinrichs des VIII. ausgerufen, als der Botschafter sie vom Tod ihrer Vorgängerin unterrichtet hatte, und sich selbstgefällig über den schwangeren Leib gestrichen, der sie vor dem Schicksal ihrer längst entthronten Rivalin bewahren sollte.
Neun Jahre hatte Katharina – unterstützt vom Papst und den Diplomaten ihres Neffen, Kaiser Karl V. – eine Scheidung von Heinrich verweigert. Bis zum bitteren Ende waren Katharinas Briefe aus ihrem kalten Exil im Norden mit »Königin von England« unterzeichnet. So trotzig wie vergeblich. Der Tudormonarch hatte sich längst vom Papst losgesagt und zum Oberhaupt der englischen Kirche »unmittelbar unter Gott« ernannt, um sich die Annullierung seiner Ehe selbst zu gewähren und Anne zu heiraten.
Überdies hatte der König entdeckt, wie einträglich es war, Klöster aufzulösen und Kirchenabgaben vom Peterspfennig bis zum Kirchenzehnt der Krone statt Rom zufließen zu lassen. Dies war Heinrichs Opus der Zersetzung und die Kirche der Kompost, auf dem England prachtvoll gedieh.
Das Rascheln von Pergament riss den Grafen aus seinen Betrachtungen. Er drehte sich um. Don Eustace hatte die Lektüre des Briefes beendet. Sein spitzes Gesicht spiegelte Betroffenheit wider.
»Das ist der geheime Obduktionsbericht für den König, Löwenstein.«
»Nicht ganz so geheim, will mir scheinen«, bemerkte der Graf.
Chapuys lächelte ebenso flüchtig wie geschmeichelt. »Nun, das Herz, das der Kerzenzieher von Kimbolton Palace aus Katharinas Brust schnitt, war von hässlichen Wucherungen umschlossen und schwarz. Durch und durch schwarz.« Der drahtige Spanier griff nach einem juwelenbesetzten Pokal, tauchte kurz eine getrocknete Natterzunge hinein, um seinen Inhalt auf Gift zu überprüfen. Das Ergebnis fiel zu seiner Zufriedenheit aus. Er nahm einen hastigen Schluck. »Wäre ich von poetischer Natur, würde ich sagen, dass ihr Herz vom Kummer zerfressen war, aber das riecht nach Gift! Oder soll es Zufall sein, dass Katharinas Tochter Maria in Hatfield ebenfalls mit einer unerklärlichen Krankheit daniederliegt?«
»Wer sollte es ihnen verabreicht haben?«, fragte Löwenstein widerwillig. Chapuys Geist war manchmal etwas zu flink, und er litt an der Berufskrankheit aller Diplomaten – chronischem Misstrauen. Oder wollte er sich mit der Theorie vom Giftanschlag nur das Gefühl erhalten, dass Katharina und er all die Jahre eine echte Bedrohung für Heinrich gewesen waren?
»Vielleicht war es der Koch, ein Page, der Bierbrauer«, sinnierte der Diplomat. »Es finden sich immer Möglichkeiten, einen Widersacher lautlos zu beseitigen.«
Der Graf hegte keinen Zweifel daran, dass Chapuys die meisten davon gut kannte. »Und wer gab den Auftrag?«
Chapuys formte mit den Lippen stumm den Namen Anne.
Laut fuhr er fort: »Die Flure, Fensternischen und Urinale von Greenwich schwirren von Spekulationen. Eines scheint allen sicher: Nun kann Heinrich wirklich nie mehr zu Katharina zurückkehren.«
»Und England nie mehr in die Obhut der katholischen Kirche«, ergänzte Löwenstein.
»So sagt man, ja.« Nach einer kleinen Pause fügte der Botschafter hinzu: »Nur ich nicht, Eustace Chapuys.« Mit eitlem Wohlgefallen strich er sein mit Moschuspomade gepflegtes Bärtchen.
Adrian von Löwenstein seufzte über die Hartnäckigkeit, mit der Chapuys an die Bekehrung Heinrichs zu Katholizismus und Kaiser glaubte. Noch vor wenigen Nächten hatte er über die Entführung der todkranken Katharina auf das Festland nachgesonnen, um dort einen Aufstand für sie und den wahren Glauben vorzubereiten. Mit Löwensteins Geld. Vorbei.
Der Blick des Grafen glitt zum Fluss, der hinter den königlichen Gemächern und der Kapelle träge wie eine schwarze Schlange dahinglitt. So traurig Katharinas überraschender Tod auch war und so hässlich Anne Boleyns Freude darüber, für ihn bedeutete beides, dass er sich nun dem wahren Zweck seiner Reise widmen konnte, statt diplomatische Ränke zu spinnen. Entschlossen trat er an Chapuys’ Schreibtisch heran.
»Ich würde nun gern über die Angelegenheit sprechen, von der ich Euch aus Spanien schrieb.«
Chapuys schaute kurz hoch. »Ihr meint Euren Bruder Aleander?«
Adrian von Löwensteins Miene verschloss sich jäh. »Er ist nur mein Halbbruder, ein Bastard meiner spanischen Mutter.«
»Was ihn ebenso zu kränken scheint wie Euch. Wenn ich recht verstehe, hat Aleander den
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