Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
der vornehme Gast sicher eingetroffen. Bis tief in die Nacht hatte die Herrschaft gestern gefeiert. Ein Unfall hatte Lunettas Ankunft um zwei Tage verzögert. Bei Melaten. Irgendetwas mit dem Kutscher. Kein Wunder bei dem Sturm, der sich am Ende in Kölns Gassen ausgetobt hatte, bis er müde und träg in sich zusammengefallen war. Beim Dom, wo sonst. Nun, er würde überleben. Dieser Goswin, nicht der Sturm. Schien aus hartem Holz geschnitzt. Kölner eben. Zudem war Gabriel Zimenes ein verteufelt guter Arzt und dieses Küken Lunetta eine treue Herrin, die ihm nicht von der Seite gewichen war, bis der Kutscher außer Gefahr schien.
Erschrocken schlug Tringin ein rasches Kreuz, das Mehlspuren auf dem dunklen Wolltuch ihres Kleides hinterließ, und murmelte ein Vaterunser. Ausgerechnet beim Brotbacken an den Leibhaftigen zu denken. Das würde was geben!
Sie teilte den Teig in zehn gleich große Stücke, formte neun längliche Laibe und einen runden. Sie drückte ein Loch in seine Mitte und zerkrümelte getrocknete Zweiglein von Beifuß, Rosmarin und Salbei hinein. »Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist«, murmelte Tringin mit geschlossenen Augen. »Ave Maria!« Verschwörerisch zwinkerte sie dem Brotlaib zu.
»Der ist für dich, Sidonia. Möge er aufgehen, wie du einmal aufgehen wirst. Prächtig und rund.« Vielleicht halfen die fruchtbringenden Kräuter und das Angelusgebet. Und das hoffentlich rasch. Nach Karneval und mit Beginn der vierzigtägigen Fastenzeit waren Ehepartnern alle fleischlichen Gelüste bis Karfreitag verboten. Ach, wenn man Kinder nur backen könnte!
Ein wenig hatte sie von dem mitbekommen, was Claas und seine Tochter so beredet hatten an dem Abend, als sie auf Lunetta warteten. Ein wenig hatte sie auch gelauscht, aber die beiden waren schließlich kaum zu überhören gewesen.
Sie deckte die Brotlaibe wieder ab, stellte den Schieber bereit und schielte zum Ofen. Um die eiserne Klappe hatte sich ein glutroter Ring gelegt. Sollte genügen. Mit einer Zange öffnete sie die Tür, dann griff sie sich die Feuerschippe, schaufelte die zu Asche verbrannte Glut heraus und fegte mit dem Reisigbesen nach. Schweißperlen traten auf ihre Stirn. Hölle, war der Ofen heiß.
Herrje – schon wieder dachte sie an den Teu…, den Gottseibeiuns. Sie legte den ersten blassen Laib auf den Schieber und wollte ihn eben anheben und mit Schwung in den Ofen befördern, als ein kaltfeuchter Luftzug ihren Rücken streifte.
»In drei Teufels Namen!«, fuhr sie herum.
»Was für eine herzliche Begrüßung, Tringin.«
Die Magd ließ den Schieber fallen, das runde Brot klatschte auf den Ziegelflur. »Du? Ich meine, Ihr? Ach was. Mach die Tür zu, bevor aller Teig zusammenfällt.«
»Wie lautete noch dein Spruch, um das zu verhindern? Warte, gleich hab ich’s.« Der unverhoffte Gast griff sich einen unfertigen Brotlaib und ritzte ein Kreuz hinein. »Dich ritz ich, dich schlitz ich, hinfort mit der Hex’!«
»Du stiehlst mir mein Brot nicht, oder ich ziep dich«, ergänzte Tringin pflichtschuldigst. »Und jetzt halt dein Schandmaul, bis das Brot im Ofen ist.« Sie griff nach dem Schieber und gab in einvernehmlicher Zusammenarbeit mit dem Eindringling die wartenden Rohlinge nacheinander in den Ofen.
»Und was machen wir damit?«, flüsterte sie schließlich mit Blick auf den Teigklumpen am Boden.
Ihr Gast las ihn mit elegantem Schwung auf. »Den backst du für mich. Ich habe es nicht besser verdient.« Er nahm sich den Schieber und beförderte den Klumpen in den knisternden Ofen.
Tringin warf die Klappe zu und schüttelte entsetzt den Kopf. »Mein Gott, was wird das geben! Der war für Sidonia gedacht.«
»Sie wird es mir verzeihen, und schmecken tut er sicher in jeder Form. Wie die süßen Wecken, die du mir als Kind zugesteckt hast«, rief ihr Besucher und drückte die dralle Magd ohne weiteres Zögern an seine Brust.
Tringin, seine ehemalige Amme, erwiderte die herzliche Begrüßung, dann stieß sie ihn von sich weg. »Warum stiehlst du dich mitten in der Nacht über den Hinterhof ins Haus? Dein Vater wird nicht erfreut darüber sein, dass du hier bist!«
»Das würde mich wundern. Er hat mich nämlich schon vor Monaten herbestellt«, erwiderte Lambert van Berck.
3.
Der Geruch von aufgehendem Brot mischte sich mit dem Duft von Apfelblüten.
Apfelblüten? Mitten im Winter? Sidonia van Berck kniff die Augen zusammen und kuschelte sich in die Decke aus Marderpelzen
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