Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Cromwell, Heinrichs oberster Minister und Herr über ein Netz aus Spitzeln, von denen es hieß, dass sie sogar Fenster zu den Gedanken fanden, saß hinter seinem Schreibtisch und ließ eine Feder über Papier tanzen.
Er sah nicht auf, während sein Gast in einem Lehnstuhl Platz nahm und reichlich Zeit fand, den engsten Vertrauten des englischen Königs in Augenschein zu nehmen.
Das also war der berühmte Cromwell, von dem es hieß, er könne mühelos drei, vier, ja zehn Aufgaben gleichzeitig erledigen. Die Auflistung aller Klosterbesitzungen in England und deren Konfiszierung bis hin zum letzten Mastschwein, sämtliche Gesetzesvorlagen, diplomatische Winkelzüge, selbst die Begutachtung von Nachthauben für die zweijährige Prinzessin Elizabeth gehörten zu seinen Aufgaben – vom feinsinnigeren Geschäft der Intrige ganz abgesehen. König Heinrich sagte über ihn: »Wäre Cromwell Herodes’ Sekretär gewesen, die Heilige Familie wäre niemals nach Ägypten entkommen.« Kurz: Cromwell galt als Inbegriff der Effizienz.
Sein Erscheinungsbild spricht dagegen, dachte sein Besucher abfällig. Alles an diesem Sohn eines Hufschmieds aus Putney schien schwerfällig, der kastenförmige Oberkörper unter dem pelzverbrämten Samtwams, der flache, kantige Schädel, die niedrige Stirn.
Der Gelehrte räusperte sich. »Wie ich hörte, ist die Verhaftung des Grafen von Löwenstein erfolgreich gewesen?«
Cromwell schrieb weiter, ohne aufzublicken. »Eure Beweise waren eindeutig genug, um nicht zu sagen plump.«
»Sie haben ihren Zweck erfüllt.« Und ihm endlich eine Audienz bei Cromwell verschafft.
»Wie man es nimmt. Chapuys ist kein Dummkopf und sehr erzürnt.«
»Ich dachte, dass Euch das gefallen könnte«, sagte der Mann in Grau gelassen.
Endlich hob Cromwell den Blick. Seine Augen hatten die unbestimmte Farbe des Themseschlamms, Das einzig Bemerkenswerte an ihnen war die Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen, oder, besser gesagt, die Fähigkeit, sie zu verbergen. Cromwell examinierte seinen Gast wie einen exotischen Käfer, der kurzfristig sein Interesse weckte.
»Nun, es gefällt mir durchaus, weil es diesen lästigen Spanier für eine Weile von anderen Dingen ablenkt und alle Welt nun weiß, dass die fromme Katharina eine Intrigantin war, die sich an fremde Mächte und gegen den König und England gewandt hat.«
»Womit Ihr Heinrichs Wunsch, dass Katharina nicht als Heilige und Verfechterin des wahren Glaubens ins Gedächtnis des Volkes eingehen möge, erfüllt habt!«
Cromwell wandte sich wieder seinen Papieren zu. Sein Besucher hob erneut an. »Der König wird es zu schätzen wissen, dass sein Gewissen nun ruhig sein darf. Er hat nicht eine treue Ehefrau und Märtyrerin verstoßen, sondern England rechtzeitig vor einer spanischen Schlange geschützt.«
Cromwell schrieb unbeeindruckt weiter. »Der Graf ist ein hübsches Bauernopfer, aber ich mag es nicht, wenn meine Spitzel sich meinen Kopf zerbrechen, Master Aleander.«
Der Mann in Grau setzte sich bequem in seinem Lehnstuhl zurecht, strich zufrieden seinen Talar glatt. Dass sein Name gefallen war, war ein Zeichen dafür, dass die Audienz andauern würde und er über die Sphäre der gewöhnlichen Spitzel hinausgewachsen war.
»Darf ich Euch also um die Gunst bitten, die Ihr mir im Gegenzug für meine bisherige Arbeit zugesagt habt?«
»Es wird Euch betrüben zu hören, dass Chapuys den Besitz Eures Bruders im Namen des Kaisers beschlagnahmt hat. Womit Euer erhoffter Gewinn verloren ist.«
»Keineswegs, Master Cromwell. Das Geld wird Chapuys’ Ärger lindern. Mir geht es nicht um das Vermögen, sondern um die Tochter.«
»Welche Tochter?«
»Lunetta von Löwenstein.«
»Der Graf reiste nur mit Soldaten seines Gefolges an. Und nach Spanien werdet Ihr wohl kaum zurückwollen.«
»Das Mädchen hält sich derzeit in Köln auf.«
»Ihr seid erstaunlich gut informiert über die Geschicke Eures Bruders.«
»Ich habe meine Quellen und Helfer.«
Cromwell legte die Schreibfeder zur Seite und lehnte sich seinerseits im Stuhl zurück. »Einige von Euren Helfern gefallen mir ganz und gar nicht. Ihr beschäftigt Huren für Eure Zwecke. Macht sogar Nonnen zu willfährigen Dirnen. Und dann ist da dieser deutsche Wanderschmied, der seinen Dienstherrn in Smithfield um einen Zentner Blei betrog und ihn im Streit erschlug. Ihr habt ihn in meinem Namen vor dem Galgen bewahrt.«
Aleander hob wie bedauernd die Brauen und seufzte. »Es ist traurig, aber solches Gelichter ist
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