Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
einem Radschlag an, als sich ein Mann in pelzverbrämter Samtschaube zu ihr durchdrängte. Er fasste sie hart an der Schulter und zerrte die sich wehrende Lunetta mit sich.
Der Schmiedegeselle wich mit klaffendem Mund zurück und gab Fersengeld. Ganz so, als sei er dem Leibhaftigen begegnet, flitzte er die Gasse hinab, bevor der Mann im Samtumhang ihn entdecken konnte.
»Die Vorstellung ist beendet. Schert euch an eure Arbeit, verfluchtes Pack«, sagte dieser mit harter Stimme.
6.
Niemand wagte ein Widerwort. Das Handelszeichen der van Bercks, das auf dem kostbaren Umhang des Mannes prangte, genoss in Köln so viel Ansehen wie ein Adelswappen, und man wusste, wie weit die Macht des Rüstungshauses reichte: bis hinein ins Rathaus und das Amtszimmer des Gewaltrichters.
Lunetta versuchte die Hand von ihrer Schulter abzuschütteln, doch ihr Befreier zog sie mit eisernem Griff hinter sich her zurück in den geschäftigen Hof des van Berck’schen Anwesens. Erst hier drehte sich der junge Mann zu ihr um, gab ihre Schulter frei und legte ihr seine Schaube um.
»Ihr müsst frieren.« In seiner Stimme lag keine Wärme.
Lunetta schüttelte die Schaube ab und hob erzürnt den Kopf. Was war die Morgenkälte schon gegen diesen Blick? Ein Blick aus eisblauen Augen, die in scharfem Kontrast zu seinen flammroten Locken standen.
»Wo ist Eure Leprosentracht, Lambert van Berck? «
»Wo ist Euer Pelz, kleine Tarotspielerin? Ihr seid schon wieder zu leicht bekleidet und reizt die Schaulust des Volkes! Glaubt nicht, dass ich mir eine Gewohnheit daraus machen werde, Euch vor dem Unmut der Gaffer zu schützen, nur weil Ihr von Löwenstein heißt.«
Lunettas Gesicht verfinsterte sich. »Ich kann mich gut allein verteidigen. Schließlich bin ich ein Gossenkind. «
»Ihr habt das Gespräch zwischen mir und meinem Vater also belauscht?«
»Euer Vater hatte mich zum Kontor bestellt, und Eure Stimmen waren nicht zu überhören.« Verflucht, warum schmeckte diese Antwort so sehr nach Rechtfertigung?
Lambert las seinen Umhang auf und deutete eine Verneigung an. »Ich entschuldige mich für das Wort »Gossenkind«. Mein Vater reizte mich, die Beleidigung galt ihm, nicht Euch. Wie sollte ich ahnen, dass eine Tarotspielerin und die Gräfin von Löwenstein eine Person sind?«
Lunetta verzog verächtlich den Mund. »Verschwindet, ich kann allein ins Haus zurückgehen.«
»Vermutlich sogar auf den Händen! Nun, es ist mir eine Ehre, Euch zum Kontor meines Vaters zurückzubringen. Er brennt darauf, Euch eine Überraschung zu bereiten.«
»Nie im Leben werde ich Euch heiraten«, platzte Lunetta erzürnt heraus.
Spöttisch hob Lambert die Brauen. »Ich erinnere mich nicht, Euch einen Antrag gemacht zu haben. Und obwohl Ihr weit hübscher seid, als mein Vater findet, werde ich es nie tun. Darauf habt Ihr mein Ehrenwort.«
»Das Ehrenwort eines feigen Betrügers, der als verkleideter Leproser umherzieht?«
In Lamberts Gesicht kämpften Erstaunen und aufflammender Zorn miteinander. Die Wut trug den Sieg davon. »Was soll das heißen?«
»Gib mir die Karten zurück, gemeiner Dieb!«
»Welche Karten?«
»Das Tarot!«
Verblüfft starrte Lambert sie an, dann legte er den Kopf in den Nacken und lachte. Außer sich vor Zorn, fauchte Lunetta: »Was ist daran so komisch?«
»Du! Ich darf doch auch du sagen? Jetzt, nachdem wir festgestellt haben, dass wir als Gossenkind und gemeiner Dieb auf einer Stufe stehen.« Er schüttelte den Kopf. »Oh, kleine Gräfin. Ein albernes Kartenspiel ist das Letzte, was mich interessiert.«
Gereizt erwiderte Lunetta: »Das Tarot ist kein Spiel, ich kann damit Dinge erforschen, die einer anderen Welt angehören. Meine Mutter Mariflores wusste von den heiligsten…«
»Lunetta!« Lambert packte sie bei den Schultern. Der unvermittelte Ernst seiner Stimme ließ sie erstarren. »Hüte dich davor, mit dem Heiligsten herumzutändeln.« Ganz nah zog er sie zu sich heran, bis sein Gesicht ihres fast berührte. Seine Augen fingen mühelos die ihren ein. Sie fror unter seinem Blick. Nicht, weil er kalt war, sondern so hell, dass sie glaubte, er reiche bis auf den Grund ihrer Seele. So wie der steinerne Cherub auf dem Friedhof Melaten.
Aber das konnte er nicht. Lambert war kein Erzengel Michael. Er war das genaue Gegenteil. Im Angesicht des Engels von Melaten hatte sie nur kurz an ihn gedacht, und die Augen Michaels hatten sofort die Farbe von Schwefel angenommen.
»Meide jede Ketzerei, ganz gleich, wie verlockend sie
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