Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
dir scheinen mag, du Kindskopf«, flüsterte Lambert plötzlich sehr sanft. »Es könnte dein Leben zerstören. Ich weiß, wovon ich spreche.«
Lunetta riss den Kopf zurück, als schlüge ihr eine Flamme ins Gesicht. »Was weißt du von meinem Leben? Nichts, nichts!«
»In der Tat, aber glaube mir, ich habe die Hölle kennengelernt. Sie ist kein Ort für ein Mädchen wie dich.«
»Für einen Dieb bist du ein merkwürdig religiöser Mann. Mein Geld ist ebenfalls verschwunden.«
Lambert ließ sie so unvermittelt los, wie er sie gepackt hatte. »Das betrübt mich, ist aber nicht verwunderlich. Die Kapelle war voller Gesindel.«
»In der Tat«, zischte Lunetta.
Lamberts Mundwinkel krümmten sich zum Faksimile eines Lächelns. »Nun komm, lass uns Freunde sein, wir werden uns in nächster Zeit häufig begegnen.«
Lunetta schüttelte widerwillig den Kopf. »Du … Ihr seid nicht mein Freund! Und ich will nicht in einem Haus voller Lügner und Betrüger wohnen.«
Ein Fass polterte hinter ihnen zu Boden und brach auf, schäumend ergoss sich Bier auf das Pflaster des Hofes. Flüche wurden laut.
»Du lenkst das Gesinde von der Arbeit ab, kleine Gräfin.« Lambert senkte erneut die Stimme. »Im Vertrauen, du solltest das Haus van Berck vor den Faktoren und Knechten nicht so laut beschimpfen. Sie könnten daran zweifeln, dass du neben einer Auswahl an leichter Bekleidung auch einen Grafentitel besitzt.«
Lunetta sah sich um und erkannte, dass Lambert van Berck recht hatte. Die Faktoren registrierten weder das geborstene Fass noch die Warenlieferungen, sondern sie. Verhaltene Feindseligkeit schlug ihr entgegen.
Verzweifelt lenkte sie den Blick zu den Mauern, die sie umgaben, tastete die prachtvolle Fassade des van Berck’schen Hauses ab. Mächtige Kranbalken, die aus dem Dachgeschoss vorragten, vergitterten sogar den Himmel. Gab es denn nirgends auf dieser Welt einen Platz, wo man sie nicht allein deshalb willkommen hieß, weil ihr Vater von Löwenstein hieß, oder sie gar verabscheute, weil sie die Tochter einer Gauklerin war?
In diesem Moment öffnete sich das Hauptportal des Hauses, und Sidonia trat hinaus. Sie blickte sich suchend um.
»Sidonia«, rief Lunetta erleichtert. Ihre Freundin entdeckte sie, raffte ihr Gewand und sprang leichtfüßig die Treppe hinab. Im Nu war sie bei ihnen.
»Lambert! Was fällt dir ein, das arme Kind hier im Hof festzuhalten! Siehst du nicht, dass sie friert?«
Ihr Bruder zog kurz die Brauen zusammen, dann verneigte er sich mit übertriebener Ehrfurcht.
»Guten Tag auch, geliebte Schwester. Es ist schön, wie sehr du dich freust, mich endlich wiederzusehen.«
»Lass den Unsinn«, erwiderte Sidonia und legte einen Arm um Lunetta. »Tringin hat mir eben erzählt, dass du zurück bist und schon einen Streit mit Vater hattest. Worum ging es diesmal?«
Lambert streifte Lunetta mit einem kurzen Blick, sah das Flehen in ihren Augen. »Es war nichts von Bedeutung, Sidonia. Und wenn du erlaubst, empfehle ich mich jetzt, um meinen Geschäften nachzugehen.«
»Hat Vater dir von seinen Plänen für Lunetta erzählt?«
Lamberts Augenbrauen fuhren erstaunt in die Höhe. »Soll das heißen, du kennst sie?«
Auch Lunetta öffnete verblüfft den Mund und schüttelte Sidonias Arm von ihren Schultern ab.
»Was habt ihr nur beide?«, rief Sidonia aus. »Natürlich kenne ich die Pläne. Ich selbst habe Vater und den Grafen von Löwenstein schließlich davon überzeugt, dass Lunetta eine Fernhandelslehre beginnen soll, bis ihr Vater zu uns kommt.«
»Eine Lehre«, stieß Lunetta ungläubig hervor. »Aber…« Sie brach ab, als Lambert herzhaft auflachte. »Eine Lehre. Bei Gott, das ist wirklich prachtvoll.«
»Lach nicht so albern«, fuhr Sidonia ihren Bruder an. »Du wirst sie ab morgen in allem unterweisen und überall mit hinnehmen.«
»Den Teufel werde ich tun«, konterte Lambert, wandte sich um und querte mit elastischen Schritten den Hof.
»Und vergiss nicht, Catlyn zu besuchen«, rief Sidonia verärgert hinter ihm her.
Ihr Bruder warf ihr über die Schulter einen warnenden Blick zu, dann verschwand er durch das Tor.
7.
L ONDON, AM SELBEN M ORGEN
Die Ruder tauchten schlürfend ins Wasser und hoben sich in einem Strahl von Gischt, so hell wie Sahne. Die Themse war ein freundlicher Fluss an diesem blau-weißen Morgen, wie ihn der englische Januar selten bot. »Herrliches Wetter, Sire«, rief der Bootsmann über die Schulter seinem Fahrgast zu, einem Mann in staubgrauem Talar.
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