Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
wo unser Stahl angelandet wird. Das ist eine wirklich aufregende Welt.«
»Ich möchte von Lambert nichts lernen«, warf Lunetta ein.
Sidonia fasste sie bei der Hand »Worüber habt ihr euch nur gestritten? Ich weiß, dass mein Bruder eine herzlose Spottdrossel sein kann, aber glaube mir, im Grunde ist er voll aufrichtiger Leidenschaft. Seine abweisende Art dient seinem Schutz, seit er wegen lutherischer Umtriebe im Gereonsloch saß. Ihm drohte der Galgen! In Wahrheit ist er einer der warmherzigsten Menschen, die ich kenne.«
Lunetta schwieg. Das Schlimme war, dass sie inzwischen ganz ähnlich dachte. Doch immer noch eingebrannt in ihre Seele war dieser eindringliche Blick aus Lamberts Eisaugen, als er sie warnte: Hüte dich davor, mit dem Heiligsten herumzutändeln … Es könnte dein Leben zerstören.
Sidonias Bruder hatte auch nicht wie ein ertappter Dieb gewirkt, als sie ihn wegen der Karten und des Geldes angeklagt hatte. Sein Zorn war ehrlich gewesen und – Sidonia hatte recht – leidenschaftlich. Er passte zu der Flammenfarbe seines Haares, so wie seine Kälte zu den Eisaugen. Wie reizvoll es wäre, das Tarot nach seiner wahren Natur zu befragen.
Unsinn!, schalt sie sich. Er geht mich nichts an, und das Tarot ist verloren.
»Wir sind da«, riss Sidonia sie aus ihren Gedanken und klopfte an die vergitterte Pforte eines Konvents. Eine alte Begine trat heraus, beladen mit einem Korb frisch gewaschener Chorhemden. »Kommt nur herein, Frau van Berck. Catlyn ist im Garten bei ihren Kräutern.«
Zuvorkommend hielt sie den beiden Frauen die Pforte auf, bevor sie in die Gasse eintauchte, um die Hemden bei der Jakobuskirche abzuliefern.
Sidonia und Lunetta betraten den Konventshof und atmeten genüsslich die reine Luft und den Frieden ein, der über dem Geviert aus weiß getünchten Häuschen lag.
»Ein wundervoller Ort«, flüsterte Lunetta.
Sidonia nickte. »Ja, und ein sicherer. Hier gilt das schützende Kirchenrecht. Kein Ungebetener darf in einen Konvent eindringen, selbst unsere Stadtväter haben hier keine Macht. Darum hat Lambert Catlyn aus London hierhergeschickt. Er musste sie für eine hübsche Summe in den Konvent einkaufen, damit sie eine Weile in Frieden leben kann.«
»Eine Weile? Ist sie denn nicht verpflichtet zu bleiben?«
Sidonia lachte. »Das eben ist das Gute am Beginenleben, man kann es jederzeit beenden, etwa um zu heiraten. Beginen sind keine Nonnen im strengen Sinne, sondern ehelose Frauen, die sich freiwillig einer Ordensregel unterwerfen. Ohne die ewigen Gelübde abzulegen, führen sie ein Leben in klosterähnlicher Gemeinschaft, während sie Christus in der Welt als Wäscherinnen für die Mönche, Siechenmägde und Totenwächterinnen dienen.«
Lunetta hielt ihr Gesicht in die blassgelben Strahlen der Sonne. Sie spürte, wie ein warmes, fast zärtliches Gefühl ihre Brust weitete. »Dein Bruder scheint wirklich ein Herz für Verfolgte des Glaubens zu haben. Es ist selbstlos und großzügig von einem ehemaligen Lutheraner, eine arme, papsttreue Nonne zu beschützen.«
Sidonia lachte leise. »Es freut mich, dass du endlich die lichten Seiten seines Charakters erkennst. Sie überwiegen seine Fehler, glaube mir.« Mit diesen Worten fasste sie Lunetta bei der Hand und führte sie über den stillen Hof zu einer Gartenpforte neben dem Hauptgebäude. »Das Beginentum ist kein schlechtes Leben. Jede der Frauen hat ein eigenes Häuschen. Und warte erst, bis du den Garten siehst.«
Sie stieß ein Lattentor auf. Ihr Atem bildete Federwölkchen in der kühlen Luft, als sie es durchquerten und in den ummauerten Garten traten. Er war klein, aber ebenso hübsch geometrisch angelegt wie ein klassischer Klostergarten. Die mit Buchsbaumhecken umfassten Beete für Heil- und Küchenkräuter, Gemüse und Blumen bildeten ein Kreuz von dunklem Braun. Die Erde war vom Frost verkrustet, aber bereits frisch umgegraben und aufgefurcht, bereit, eine neue Saat zu empfangen.
Winterharte Salbeisträucher und silbergrüner Rosmarin sorgten für Farbtupfer. In der Mitte des Beetkreuzes war ein Brunnen aufgemauert, der von einem Sadebaum beschattet wurde. Dort stand, mit dem Rücken zu ihnen, eine junge Frau in einem groben Leinenkittel und pflückte eifrig abgestorbene Blätter.
»Catlyn«, rief Sidonia. Die Angerufene zuckte kurz zusammen, ließ die Blätter rasch in einer Schürze ihres Kittels verschwinden und drehte sich zu ihnen um. Ihr spitzes, herzförmiges Gesicht erinnerte Lunetta an das eines
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