Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Eichhörnchens. Es war von reizvoller Unschuld und wurde von blauen Augen beherrscht.
Unter ihrem grauen Novizinnenkopftuch wuchs blondes Haar nach. Lunetta stutzte, denn es schien mit einem Brenneisen gelockt zu sein. Die Freiheiten der Beginen mussten tatsächlich groß sein.
Mit wiegenden Schritten kam Catlyn auf die beiden Frauen zu. Alles an ihr war weich und fließend. Unter dem groben Leinenkittel zeichnete sich ein üppiger, lockender Leib ab. Mit einer nachlässigen Bewegung ihrer weißen Hand strich Catlyn sich eine Locke aus der Stirn.
Sie ist nicht, was sie scheint, durchfuhr es Lunetta plötzlich, und sie wurde von jähem Entsetzen gepackt. War das nicht Blut, das aus ihrem Hals hervorquoll? Alberne, alberne Visionen. Um sie abzuschütteln, sagte sie rasch: »Sie ist so … wunderhübsch. Fast wie ein… Engel.«
Sidonia lächelte. »In der Tat. Und Lamberts Interesse an ihr ist auch nicht ganz so heiligmäßig, wie du denkst.« Verschwörerisch senkte sie die Stimme. »Catlyn ist Lamberts Verlobte. Vater wird toben, wenn er es erfährt!« Sie hielt inne. »Was ist mit dir, Lunetta? Warum bist du mit einem Mal so bleich? Dich wird Vater mit seinem Zorn gewiss verschonen.«
2.
L ONDON, DER T OWER, ZUR GLEICHEN Z EIT
Eine kurze, eiskalte Brise bauschte Don Chapuys’ schwarzgelben Prunkmantel und zerrte daran wie eine ungeduldige Geliebte. Der drahtige Spanier stand neben dem Grafen von Löwenstein auf einem der schmalen Wehrgänge des Towers. Die Blicke der Männer waren auf die im Sonnenschein glitzernde Themse gerichtet. Träge durchpflügten Kähne, Prunkbarken und Ruderboote den Fluss. Jenseits der London Bridge, deren Steinbögen den Strom kurzfristig in reißende Sturzbäche zerteilten, die nur bezahlte Bootsmänner zu durchschießen wagten, war die Themse ein heiteres Gewässer für jedermann. Schänken, Docks und Werften säumten das Ufer zu Füßen des Towers.
»Welch eine prachtvolle Aussicht«, schwärmte Chapuys, während er einen Brotfladen zerpflückte und die Brocken kreischenden Möwen zuwarf, die den Wehrgang umflatterten. »Und das schöne Wetter hält an, mi amigo. Wir haben Glück.«
»Glück!«, stieß der Graf entgeistert hervor. »Ihr vergesst, dass wir im Tower sind! Dies ist das mächtigste Gefängnis Englands.«
»Nur für Euch, mein bedauerlicher Freund, nicht für mich.«
»Als könnte ich das vergessen.«
Chapuys warf ihm einen tadelnden Blick zu und klopfte sich sorgsam letzte Krümel von seinen saffiangelben Handschuhen. »Ich darf Euch versichern, dass es weit schrecklichere Gefängnisse als dieses in London gibt. Hier hält man sogar Könige gefangen. Und habt Ihr nicht eine hübsche Unterkunft erhalten?«
Sein Blick streifte den zinnenbewehrten kleinen Turm, der nur wenige Schritte entfernt die Mauer krönte. »Sogar mit freiem Blick auf die Themse, dazu ein Schreibzimmer mit Kamin, eine abgetrennte Schlafkammer. Vielleicht erlaubt man Euch sogar, die königliche Menagerie des Towers zu besuchen mit ihren Löwen und Elefanten. Ein einmaliges Erlebnis! Die Menschen flüstern sich viele Schauermärchen über den Tower zu, dabei verlassen die meisten Verurteilten ihn lebend und bekommen seine Katakomben nie zu Gesicht.«
»Unter Heinrich hat sich das geändert.«
Chapuys seufzte. »Ja, seit er überzeugt ist, dass zwischen Gott und seinem Gewissen kein Unterschied besteht, färbt sich das Grün auf dem Tower Hill viel öfter rot.« Seufzend sog er die kalte Luft ein, in der ein Hauch von Meeressalz mitschwang. »Dennoch, was gäbe ich darum, einmal in solcher Abgeschiedenheit entspannen zu dürfen. Fern vom Lärm des Hofes, in guter Luft und …«
Der Graf ballte die Fäuste. »Chapuys, es bleibt ein Gefängnis, verdammt! In das unter anderem Ihr mich hineingebracht habt.«
»Gewiss«, erwiderte der Botschafter gelassen. »Und das zu besten Bedingungen. Hätte ich der Verhaftung nicht beherzt zugestimmt, hätte Euch die Leibgarde abgestochen, oder Ihr wärt in einem von Cromwells Verliesen verschwunden. Tief unter der Erde, umgeben von Abschaum in menschlicher und tierischer Ausprägung, angekettet an einen Pfahl, besudelt mit Euren eigenen Ausscheidungen, ohne Nahrung, gewürgt von einem Halseisen und ohne den tröstlichen Zuspruch Eures treuen Freundes … Master Elias hat sich das zweifellos so ausgemalt. Aber er hat nicht mit mir, Eustace Chapuys, gerechnet.«
»Schon gut, ich habe verstanden«, unterbrach ihn Adrian von Löwenstein schroff. »Ihr habt
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