Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
ein kranker Mann«, sagte Sidonia traurig. »Ich muss das Geschäft führen.«
»Er kann einen seiner Faktoren zum Partner machen. Manche sind seit zehn Jahren im Haus.«
»Vater vertraut niemandem außer seiner Familie.«
Gabriel lachte hell auf. »Du nennst es Vertrauen, dass er dir Lügen über mich und die Huren erzählt?«
Sidonia zuckte die Achseln. »Er hat sich vom kleinen Schmiedeknecht zu Kölns größtem Waffenhändler hochgearbeitet. Das Geschäft ist sein Lebenswerk. Es für die Familie zu erhalten ist seine Form der Liebe. Er kennt keine andere.«
»Ein trauriger Mann, der von seinem Besitz nichts hat als die Furcht, ihn zu verlieren.«
Sidonia nickte. »Und vielleicht ein Sterbender. Sein Husten quält ihn täglich mehr. Er treibt seine Scherze mit der Krankheit, aber sie ist ernst, und ich will nicht, dass er sein Haus zerfallen sieht, ohne Hoffnung, ohne Erben …«
Gabriel legte die Hand unter ihr Kinn. »Du quälst dich so sehr mit all diesen Sorgen und Schuldvorwürfen. Non curator, qui curat. Wer Sorgen hat, wird nicht geheilt. Lass Lambert jetzt die Bücher führen und deinen Vater in Zaum halten.«
»Er hat anderes zu tun und geht sicher bald zurück nach London, um im hansischen Stalhof wieder die Firma zu vertreten.«
»Aber jetzt ist er hier! Und du hast Lunetta. Wolltest du sie nicht unterrichten?«
»Lambert wird ihr Lehrherr sein.«
Wut zerpflügte Zimenes’ Stirn wie ein Blitz. »Ausgerechnet Lambert?«
»Weshalb nicht?«
»Mir missfällt seine Geheimniskrämerei. Warum schleicht er sich wie ein Nachtgespenst in Köln ein? Wir kümmern uns um Lunetta! Sie ist wie eine Tochter für uns.«
Wenn es nur so wäre, dachte Sidonia bitter. Das Mädchen hatte so viele Geheimnisse, die es nicht mehr mit ihr teilen wollte. »Sie ist eine junge Frau, deren Herz bald nach etwas anderem als elterlicher Fürsorge dürsten wird.«
»Dann ist Lambert wohl kaum der richtige Umgang für sie. Der Geruch des Abenteurers, mit dem er sich umgibt, und sein undurchschaubares Temperament sind dazu angetan, gefährliche Leidenschaften in unerfahrenen Mädchen zu wecken.«
»So wie du in mir, als ich achtzehn war«, neckte Sidonia.
Zu ihrem Erstaunen überging Zimenes den Scherz und steigerte sich in kalten Zorn. »Lambert scheint mir einer von diesen Jünglingen, die voller Gleichgültigkeit die Weiberherzen entflammen, ohne an die Folgen zu denken. Lunetta wäre eine leichte Beute.«
Sidonia trat stolpernd einige Schritte zurück, stieß gegen die Balken der Schaubühne. Nein, das konnte unmöglich Lamberts Absicht sein. Aber die deines Vaters! Denk an Amor und Psyche!
Abwehrend hob sie die Hände. »Du weißt nichts über Lamberts wahre Gefühle. Du kennst ihn kaum.«
»Ich habe ihn als jungen Taugenichts und Heißsporn erlebt, den wir aus dem Gefängnis holen mussten«, stieß Zimenes hervor.
»Das hatte doch nichts mit Frauen zu tun. Er hatte sich in religiöse Schwärmerei verrannt. Ein Strohfeuer. Seiner Leidenschaft fehlte ein Ziel. So wie mir, bevor ich dich kennenlernte.«
»Und wenn er seine vergängliche Leidenschaft nun auf Lunetta lenkt? Ihr Herz ist leicht zu brechen, darin ähnelt sie meiner Schwester Mariflores.«
»Das kann und wird er nicht tun«, sagte Sidonia fest. Rasch blickte sie zu den bleiverglasten Kreuzstockfenstern im ersten Stock hoch. Im Speisesaal brannte noch Licht. Die bemalten Butzenscheiben brachen es in bunt funkelnde Blitze. Sidonia stellte sich auf die Zehenspitzen und raunte. »Er hat sich bereits gebunden. Catlyn ist seine Verlobte.«
Gabriels Zorn wich Staunen und Betroffenheit. »Eine entlaufene Nonne? Ist das wahr?«
Sidonia nickte.
Gabriel seufzte. »Ihr seid wirklich der Inbegriff der trauten Familie. Jeder hat Geheimnisse vor dem anderen!«
»Nur vor meinem Vater«, protestierte Sidonia.
Gabriel lachte trocken. »Lass uns nicht weiter streiten, mein Herz. Ein Leuchtmann wartet beim Tor, wahrscheinlich ist er bereits festgefroren.«
»Wohin gehst du?«
Gabriel musterte sie zögernd, sah den Widerstreit von Schmerz und Furcht in ihren Augen. »Auf den Berlich.«
»Schon wieder in das städtische Hurenhaus?« Sidonia unterdrückte mühsam ein aufsteigendes Gefühl von Übelkeit.
»Dort gibt es mehr als genug Frauen, die meine Hilfe brauchen«, erwiderte Gabriel. »Sidonia, glaub mir endlich, die Frauen sind nur meine Patientinnen.«
»Patientinnen?«, brauste seine Frau gegen ihren Willen auf. Eine Welle des Zorns spülte alle Reue fort.
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