Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
sprengen und die Nachtruhe zu stören.«
»Bitte bleib.«
Gabriel hüllte sich in seine Schaube und öffnete die Tür. »Krankheit und Tod richten sich nicht nach dem Glockenschlag«, sagte er laut in den Raum hinein und machte Sidonia ein heimliches Zeichen. Beide traten in die Nacht hinaus. Die Bohlentür schwang kreischend ins Schloss.
6.
Ein sich rundender Mond überglänzte das Pflaster des Innenhofs und tauchte die leere Schaubühne in unwirkliches Licht. Die klare Nacht verhieß neuen Frost. Lunetta stand am offenen Fenster ihres abgedunkelten Schlafzimmers, sog gierig die frische Luft ein und freute sich am Funkeln der Sterne. So hell, so rein, so silbern. So kalt im Glanz wie die Augen Lamberts. Lunetta fröstelte. Warum stahl sich der junge van Berck immer und immer wieder in ihre Gedanken?
Er war verlobt… Schluss! Sie würde sich von ihm fernhalten.
Das Geräusch von Schritten riss ihren Blick nach unten. Sie entdeckte Gabriel und Sidonia. Wenn sie nur eine Liebe wie die ihre finden dürfte! So unverbrüchlich, so glücklich.
Ihre Blicke folgten dem Paar. Wortlos begleitete Sidonia ihren Mann, bis sie weit genug vom Küchentrakt entfernt waren. Unter Lunettas Fenster blieb sie stehen und stemmte die Hände in die Hüften.
»Willst du wieder zu deinen Huren?«
»Beim Blute Christi, ich habe dir schon gesagt, es ist nicht so, wie du denkst!«
»Welcher Ehemann würde das nicht behaupten!«
»Wie kannst du an mir zweifeln?«
»Weil ich dich liebe, Gabriel!«
» Mi ángel! Wenn du mich liebst, vertraue mir endlich.«
Ihre Stimmen waren nur ein Zischen, aber deutlich genug, um zu dem Mädchen am Fenster zu dringen. Lunetta sah, dass Zimenes seine Frau an sich zog, schloss behutsam das Fenster, zog den Vorhang aus schwerem Brokat vor und tastete sich zu ihrem Bett. Warum war Privatheit im Haus van Berck trotz massiver Wände, unzähliger Kammern und verschwiegener Nischen so schwer zu finden?
Zitternd schlüpfte Lunetta unter die Decke aus knisterndem Leinen und das mit Eiderdaunen gefüllte Überbett. Warum brütete dieses behagliche Haus so viele Geheimnisse aus? Und warum weigerte sich etwas in ihr, in der Sicherheit eines eigenen Zimmers, das luxuriöser kaum sein konnte, ihre Gefühle und Ahnungen zu enträtseln? Gott hatte ihr doch das Buch zurückgegeben, durch ihren eigenen Vater.
Entschlossen schlug sie die Decke zurück und griff nach dem Kerzenhalter. Sie entzündete das Wachslicht in einem Kohlebecken, das am Fuß des Bettes stand. Kurz streifte ihr Blick die schwarze Madonna auf dem Nachtkasten.
Lunetta drehte die lächelnde Figur mit dem Gesicht zur Wand. Dann holte sie das kostbar gebundene Buch unter ihrem Kopfkissen hervor.
Unten schlang Sidonia die Arme um Gabriels Hals, zog sein Gesicht zu sich hinab. »Bleib heute Nacht bei mir.« Ihr Mann grub seufzend das Gesicht in ihr Haar, sog ihren Duft ein. Erleichtert lehnte Sidonia sich an ihn. Grölendes Gelächter später Zecher fing sich im Gassennetz und verhallte. Nirgends wurde die Fastnacht so früh begonnen und so anhaltend gefeiert wie in Köln. Irgendwo wurde eine Trommel geschlagen. In der Küche erstarb zugleich mit dem Licht das Gespräch zwischen Goswin und Tringin. Ein Hund schlug an.
Das Paar schwieg, bis sein Bellen verstummte.
»Es tut mir leid, was ich vor wenigen Tagen gesagt habe. Alles«, flüsterte Sidonia, »auch das mit den Huren.«
»Ich weiß, querida. « Ihre Münder fanden sich in einem schmelzenden Kuss. Sidonia löste sich mit halb zaghaftem, halb schelmischem Lächeln von ihm. »Vor allem bereue ich, was ich über die Lust sagte!«
Ein Abglanz seines gewohnten Spotts schimmerte in Gabriels dunklen Augen. »Vielleicht wirkt der Mönchspfeffer!« Sein Blick glitt prüfend zum samtschwarzen Himmel. »Oder liegt es am Vollmond?«
»Gabriel!« Sidonia versetzte ihm einen kurzen Stoß vor die Brust. »Du ahnst nicht, wie elend es mir die ganzen Tage wegen unseres Streites war.«
»Laste das deinem Vater an. Er gab dir die Verdächtigungen gegen mich ein, nicht wahr?«
»Er fürchtet um den Ruf seines Hauses!«
»Genau deshalb besuche ich gewisse Häuser bei Dunkelheit!«
»So wie alle Verehrer der verbotenen Venus«, erwiderte Sidonia spitz.
» Mi corazón , was mich verletzt hat, war dein Misstrauen, nicht das deines Vaters.«
»Verzeih mir.« Betroffen schaute Sidonia zu Boden. Gabriel zog sie wieder an sich.
»Warum nehmen wir kein eigenes Haus, um der Beobachtung zu entgehen?«
»Er ist
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