Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
seiner Brust lag ein mächtiger Ast der Eibe. Der Harnisch, Goswins ganzer Stolz, war tief eingedrückt, das stolze Wappen der Löwensteins zerschlagen. Die Augen des Soldaten waren geschlossen, sein stilles Gesicht blutüberströmt und von Splittern zerschnitten.
»Goswin«, flüsterte Lunetta, »nicht du!«
»Wusste ich doch, dass ich die Grube nicht umsonst ausgehoben hab«, mischte sich die Stimme des Schellenknechts in Lunettas Klagen. »Für einen rheinischen Goldgulden bestatten wir auch Reisende. Für zwei sogar bei den Pilgern im Portikus. Egal, woher sie kommen und wohin sie gehen. Gehen wollten. Was immer man von Melaten sagt, es ist geweihte Erde! Gute katholische Erde, und im Leprosenhaus halten wir auch die Totenwache. Gegen einen Aufschlag.«
Lunetta schluchzte auf, fasste Goswins Schulter, rüttelte ihn sanft, doch er rührte sich nicht. Sie weinte, schrie: » Herr , ist das deine Antwort an mich?«
»Schweig«, unterbrach eine kalte Stimme sie. »Schweig, du Zauberin, du Teufelsbuhlin.«
Es war die Stimme des Handwerksburschen, der sie eben noch so lüstern betrachtet hatte. Er hielt einen flammenden Kienspan in der einen Hand und mit der anderen eine Karte hoch, damit alle sie sehen konnten. Lunettas Karte. Entsetzt wichen die Bettler, die Wanderkrämer und selbst der vorwitzige Schellenknecht zurück.
Im flackernden Licht sahen sie einen Turm vor nachtschwarzem Himmel, in den ein Blitz einschlug. Feuer drang aus der berstenden Dachkrone, Menschen stürzten sich in die Tiefe und den sicheren Tod.
»Seht genau hin! Damit hat sie den Sturm auf Gottes Haus herabgezogen. Direkt vor dem Altar!« Schreie wurden laut. Vereinzelt flohen Menschen aus der Kirche, andere starrten gebannt auf die Karte, wandten sich mit fragenden Blicken an den Ankläger, warteten auf mehr.
Er enttäuschte sie nicht. »Ich weiß, wer sie ist! Der Herr hat mich gesandt, um sie zu richten.«
Die Augen des Burschen glühten wie Kohlen. Rot leuchtende Flecken bildeten sich auf seinen unrasierten Wangen, ließen die Knoten an seinem Hals aufblühen. »Der Herr ist ein hoher Turm, heißt es im Buch Samuel. Sie wollte ihn zerstören. Es sind stets die Reichen dieser Welt, die das Niedrigste tun. Sie unterdrücken das Licht Gottes. Ihr Wohlleben ist Satans Lohn, nicht Gottes Auszeichnung. Schaut sie euch an. Sie ist unversehrt in ihrem goldenen Kleid der Schande. Seht ihr lockendes Fleisch, das Luzifer geweiht ist und darum keinen Schmerz kennt!«
Seine Hand schoss vor, sein Zeigefinger deutete auf den Spitzenausschnitt von Lunettas höfischem Gewand, das den sanft schwellenden Ansatz ihres Busens enthüllte.
Lunetta erbleichte und erinnerte sich an seine Blicke vorhin in der Kirchenbank. Das waren nicht die Augen eines Lüstlings, sondern die eines Fanatikers. Mühelos setzte er die Umstehenden in Brand, verschmolz sie zu einem gärenden, schwelenden Haufen. Die Bettler bildeten einen Ring um sie.
Lunetta roch den scharfen Schweiß ihrer Angst, ihre Todesfurcht. Oh, sie kannte diese Furcht genau und hatte eben selbst erfahren, in welch vernichtenden Zorn diese Furcht umschlagen konnte. Sie verschränkte ihre Hände und bedeckte ihre nackte Haut.
Ein wissendes, fast zärtliches Lächeln stahl sich in das Gesicht des Wanderhandwerkers. Wie wohl es tat, die Wahrheiten des Master Elias zu verkünden, diese Macht zu fühlen, diese reine göttliche Macht, mit dem der Prophet ihn vertraut gemacht hatte.
»Seht ihr?«, fuhr er kraftvoll fort. »Diese goldene Hure Babylons weiß um ihre Schuld. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt, sagt die Bibel. Lasst uns das Wort des Herrn mit Leben füllen. Lasst uns die Welt erlösen und Täter des Wortes sein! Ein Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist tot in sich selber, so steht es bei Jakobus, dem Gerechten, geschrieben.«
»Woher kennst du die Heilige Schrift?«, wollte der Schellenknecht wissen. Der Schmied hörte ihn nicht.
»Ich sage: Schlagt sie tot! Schlagt sie tot. Ich bin der Hammer des Herrn. Schlagt sie tot.« Mit verzücktem Gesicht zog der Prediger einen Schmiedehammer aus seinem Felleisen.
»Ich dulde hier keine Zaunprediger und religiösen Schwarmgeister! Köln ist eine katholische Stadt. Nur unsere geweihten Priester kennen die Bibel«, mischte sich zaghaft der Schellenknecht ein.
»Gott ist allmächtig«, schrie der Schmied, »und Gott ist zornig! Gott will die Welt erlöst sehen von allem Dunkel, das sich in ein
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