Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
geistlichen Gewändern im Hafen jedem an.«
»Was sie mir umso bedauernswerter erscheinen ließ! Erst recht, als die Leitung des Stalhofs sie anzeigte.«
»Weil sie ein Schmutzkessel, eine Hinde, eine ganz und gar widerwärtige Sündenspalte war.«
»Spar dir die Heuchelei. Nenn mir die wenigen Kaufleute, die fern von ihren Eheweibern nicht gelegentlich die Cocklane aufsuchen, um sich gegen drei Pence zu erleichtern, weil sie das Hansegesetz zwingt, im Kontor das Zölibat zu halten. Selbst im Weinhaus suchen sie nach diesen Frauen.«
Gernot spuckte aus. »Aber sie heiraten diese Weiber nicht.«
»Es gibt in dieser verworrenen Welt nur noch wenige Gesetze, an die ich mich zu halten pflege, Gernot. Eines davon ist, Menschen in Bedrängnis zu helfen. Ich habe erlebt, was es heißt, verfolgt zu werden und keine Hoffnung auf Beistand zu haben! Was zählt dagegen das Gezänk um Messbuch oder Lutherbibel? Gott ist nicht katholisch oder evangelisch.«
Gernot schwieg eine Weile. »Du bist und bleibst ein Schwärmer.«
Lambert lachte. »Du sprichst mit einem Mörder, mein Freund, einem Mann, der nichts mehr zu verlieren hat. Du bist der Schwärmer, einer, der meint, es reicht, an etwas zu glauben, um es zu bewirken.«
»Lass mich gehen. Ich bin nicht zum Märtyrer geboren«, sagte Gernot wütend.
»Mein Freund, ich sage es ungern, aber ich könnte dich dazu machen. Ein Brief, eine kleine Notiz an die Leitung unseres Kontors wegen der Psalmenübersetzungen, die ich regelmäßig am Boden meiner Warenfässer für dich einschmuggle…«
»Das würdest du nicht tun!«
Lambert fasste ihn beim Kragen seines Umhangs und zog ihn dicht an sich heran. »Ich sagte bereits, ich bin ein Mann, der nichts zu verlieren und anscheinend keine Freunde hat.«
»Erpressung ist gottlos.«
»Und manchmal notwendig. Gott kann hier auf Erden nur durch uns wirken. Und das will ich tun, bis zum letzten Atemzug.«
Gernot wand sich unter Lamberts Griff. »Das ist mir zu hoch.«
»Selbst ein Tintenkleckser wie du kann gewiss ein Gartentor öffnen. Man muss lediglich einen Riegel verschieben.«
Er lockerte seinen Griff um Gemots Schaube so plötzlich, dass dieser stolpernd nach hinten in den Abfall fiel. Rasch rappelte er sich wieder hoch, klopfte sich kurz die Kleider aus und rannte los. Die Kirchenglocken von All Hallows schwangen sich zum Abendgeläut empor.
Als es verklang, vernahm Lambert das Schrappen von Metall. Rasch eilte er zu einer eisernen Pforte im Mauerwerk. Gernot zog sie nach innen auf und ließ Lambert passieren. »Du kommst zu spät«, zischte er voll gehässiger Genugtuung. »Deine Waffen sind bereits im Zeughaus unter Verschluss. Schon morgen werden sie zu Beschussproben an den Hof zu Hampton geliefert.«
»An den Hof?« Lambert zögerte kurz, dann packte er Gernot jäh bei den Schultern, zog ihn an sich heran und küsste dem verblüfften Kaufmann beide Wangen. »Du magst kein Märtyrer sein, aber du bist ein Sendbote Gottes! Verzeih, was ich dir eben angedroht habe. Ich hätte dich nie verraten.«
Gernot wischte sich die Backen. »Hurensohn«, blaffte er und tauchte in die Dunkelheit der Gasse ab.
Lambert durchquerte rasch die Gärten und erreichte die Mauer zum Haupthof mit dem Gildehaus, den Wohnkammern der Kaufleute und dem streng bewachten Zeughaus, das alle Blank-, Schutz- und Stabwaffen beherbergte, die zur Verteidigung des Stalhofs dienten oder als Warengut ausgeliefert werden sollten.
Er verbarg sich im Durchgang zwischen Hof und Garten, passte einen Moment ab, in dem sich ein Kutschwagen zwischen die Wachen und ihn schob, und stahl sich zu einem Stapel leerer Warenfässer im Hof. Er zog einen in Wachstuch geschlagenen Beutel und einige Schnüre unter seinem Talar hervor und blickte prüfend nach oben. Es versprach eine klare Nacht zu werden. Kalt blinkten die Sterne im mondlosen Himmel, der bereits tintenschwarz war. Nun, bald würde es hier im Hof hell werden, sehr hell. Mit geübten Fingern machte Lambert sich an die Arbeit.
6.
H AMPTON COURT, AM A BEND
Missmutig klapperte ein gähnender Küchenjunge auf seinen Holzpantinen durch den kaum mannsbreiten, bitterkalten Fischhof. Hierher drang nie ein Sonnenstrahl, nur Schnee, Regen oder Tau konnten ungehindert auf das Kopf steinpflaster des schmalen Korridors herabsinken. Die Sandsteinmauern blieben das ganze Jahr lang feucht und strahlten eisige Kälte in die Lagerkammern für die Seefische ab.
Die Vorräte mussten stets reichlich bemessen sein, da drei
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