Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
karg schien bis auf die Kissen und die kostbaren Kerzen. »Wo … wo bin ich hier?«
»Kein Grund zur Sorge, Ihr seid bei Eurem Freund!«
Lunetta richtete sich verwundert in den Kissen auf. »Wo ist er?«
»Gleich nebenan. Ich soll Euch beim Ankleiden helfen.«
Lunetta sah an sich herab. Sie trug nichts außer einem leinenen Hemd. »Was ist mit meinen Kleidern passiert, was soll das?«, fragte sie zunehmend entrüstet.
»Er wird Euch alles erklären. Habt keine Angst, es tut nicht so weh, wie behauptet wird, und später macht es sogar Freude. Und er ist ein so vornehmer, großzügiger Mann. Er will Euch nicht einfach so überfallen.«
Lunetta schüttelte vollends verwirrt den Kopf. »Wovon redet Ihr, verflucht noch mal?«
»Hier, Ihr sollt das anziehen«, sagte Nell, die sich in der Rolle der Kupplerin zunehmend unwohl fühlte. Das Mädchen sah so zornig aus, als zöge es eine Puddingform dem Besuch des Spaniers vor.
Lunetta erhob sich von der Strohmatte, taumelte und fasste sich an den Kopf. »Wer hat mich hierhergebracht?«
»Euer Freund, wer sonst? Und jetzt zieht Euch an. Er wird erst eintreten, wenn Ihr bekleidet seid«, befahl Nell. Energisch hielt sie Lunetta wollene Beinkleider und einen groben Kittel hin.
»Was sind das für Gewänder?«
»Die eines jeden Küchenjungen.«
»Aber das bin ich nicht«, schnappte Lunetta.
Herrje, dachte Nell, was für ein zänkisches Liebchen hatte sich der Diplomat da nur ausgesucht. Zimperlich wie eine Jungfrau und bissig wie ein Frettchen. Immerhin stieg sie jetzt in die Beinlinge, nestelte sie zu und ließ sich mit Nells Hilfe den Leinenkittel überstreifen.
»Hm«, sagte die Puddingköchin endlich. »Ich frage mich nur, was wir mit deinen Haaren machen.«
»Ich will jetzt endlich wissen, wo ich bin!«
»In Hampton Court, condessa Löwenstein.«
Chapuys verneigte sich in dem kleinen Mauerbogen, der die Küche von dem Schlafplatz trennte. »Ich bin Eustace Chapuys, der Botschafter des Kaisers und ein Freund Eures Vaters. Ihr seid in Sicherheit.«
»Erklärt mir, wie ich hierhergekommen bin – und warum«, forderte Lunetta misstrauisch.
»Eines nach dem anderen, condessa. Euch aus den Händen Aleanders zu befreien – nun, das ist eine Geschichte, die ich Euch in aller Ruhe in der Wärme eines Kamins erzählen sollte, sobald wir auch Euren Vater in Sicherheit wissen. Ich bedauere zutiefst, dass ich Euch vorerst nur dieses Loch als Unterschlupf anbieten kann…«
»Loch?« Nell Twinkerton stemmte empört die Arme in die Hüften. »Ich fege hier täglich aus, und Ratten haben bei mir kein langes Leben.«
Chapuys lächelte. »Gewiss nicht, Nell, und nun hole der Gräfin etwas von deinem Steakpudding und von dem Wein, den ich mitgebracht habe.«
Maulend verzog sich Nell in die Küche.
»Und bringe uns auch das Päckchen mit, das der Küchenjunge eben übergab«, rief Chapuys ihr hinterher.
Nell stellte rasch das verlangte Speisetablett zusammen und griff nach dem Päckchen. Sie konnte nicht widerstehen und schob das grobe Papier, in das es eingeschlagen war, sacht auseinander. Enttäuscht runzelte sie die Stirn. Und damit wollte Chapuys die Gunst der jungen Schönen erwerben? Was für ein seltsamer Liebhaber.
Mit einem Kartenspiel hatte noch keiner versucht, sie zu verführen!
7.
L ONDON, SPÄTABENDS
Es war so weit. Zwei Nachtwächter hatten die üblichen sechs Torposten beim Zeughaus abgelöst. Die letzten Zecher hatten das Weinhaus verlassen, die Zugänge zum Stalhof waren verriegelt und verrammelt. In den Wohnhäuschen der Kontoristen wurden die Lichter gelöscht. Im Hof blakten nur noch die Laternen über den Speicherhäusern und das ewige Licht zu Füßen des heiligen Nikolaus, des Schutzpatrons aller Seefahrer und Kaufleute.
Lambert kam auf leisen Sohlen hinter dem Berg aus Fässern hervor und glitt geduckt zu dem ewigen Licht hinüber, das nicht mehr als ein kleines Flämmchen war und langsam im eigenen Talg ertrank. Mehr brauchte es nicht. Lambert hielt das Ende einer Lunte darüber, die er hinter sich entrollt hatte. Er musste ein Weilchen warten, dann endlich sprühten Funken auf.
Rasch ließ er die Lunte los und verbarg sich im Schatten des Nikolausschreins. Ein blaues Flämmchen fraß sich durch den mit Salpeter und Bleizucker gebeizten Hanfstrick, näherte sich zischend und kriechend den Fässern.
»He, ist da jemand!«, schrie einer der Wächter und zog seinen stolzen Zweihänder. Ein ohrenbetäubender Knall und das Geräusch von
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