Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Kirche in ein gefährliches Licht tauchen, nicht wahr?«
»Ich weiß«, knurrte Heinrichs Minister. »Spart Euch Eure Spaßvogeleien, Chapuys, Ihr seid Diplomat, kein Hofnarr.«
»Mitunter ist der Unterschied zwischen beiden nur haarfein, Cromwell, findet Ihr nicht?« Interessiert bemerkte er einen Mann im schwarzen Arzttalar, der jetzt eilig die Gartenflucht durchquerte.
Der Sekretär schien ihn nicht zu bemerken, seine Gedanken waren immer noch bei Hexerei und Teufelswerk. »Heinrich ist schwer von seinen Ideen abzubringen. Bedenkt, dass die Königin einen sechsten Finger hat und dieses scheußliche, erdbeerfarbene Mal an ihrem Hals.«
»Oh, das«, winkte der Spanier ab. »Bei Gott, ein jeder kennt dieses öffentliche Geheimnis seit Jahren, und Euer Hof hat es eifrig übersehen. Alle englischen Edelfrauen kopieren die überlangen Ärmel, mit denen Anne den zweiten Nagel am kleinen Finger ihrer linken Hand verbirgt. Genauso eifrig haben sie die eng anliegenden Schmuckbänder übernommen, mit denen die Königin ihren Hals bedeckt, und lassen ihr Haar – gleich Anne – wie Vorhänge unter französischen Käppchen hervorrieseln.«
»Nicht mehr hier, so nahe beim König«, murmelte Chapuys. »Seht selbst!«
Chapuys ließ den Blick diskret über die wartenden Ladys schweifen. Die Mode bei Hof glich einem empfindlichen nautischen Instrument, das jeden Kurswechsel registrierte. Die Damen im Staatsdienersaal waren in der Tat zu schmuckfreien Hälsen zurückgekehrt und trugen statt frivoler französischer Kappen wieder die wenig kleidsamen englischen Giebelhauben, die ihre Gesichter streng wie Kirchenfenster umrahmten.
»Tatsächlich«, erwiderte Chapuys wie beiläufig. »Ob es daran liegt, dass Heinrich sich nicht nur mit dem Gedanken an Hexerei, sondern auch eng mit einer Hofdame Annes angefreundet hat? Einer gewissen Jane Seymour?« Eine Königin der Giebelhaube, schafgesichtig, schweigsam und voll gerissener Demut. Das ganze Gegenteil der tanzenden, springenden, intriganten Anne, die als Geliebte von Heinrich die Uniformen ihrer Diener mit dem kecken Motto »Murrt wie ihr wollt, es wird doch geschehen« besticken ließ. Sie hatte nie gezögert, ihre Absichten auf Katharinas Thron vor aller Welt kundzutun. Ihr Erfolg hatte ein Beispiel gesetzt, das ihr nun selber zum Verhängnis werden konnte: Königinnen waren austauschbar.
Cromwell überging Chapuys’ Erwähnung der Dame Seymour. »Falls der König uns heute begegnet, zeigt Euch demütig und hocherfreut. Wir müssen ihn von dieser Hexenidee abbringen, ihm zeigen, dass Europa und Euer Kaiser ihn nicht isolieren wollen…«
»Ihr verlangt viel von mir. Warum sollte ich als Mann des Kaisers Eurem König so dienstbar sein?«
Cromwell straffte die Schultern. »Denkt an das Schicksal von Mary und – wenn Ihr wollt – an diesen Löwenstein.«
»Ah, Ihr erinnert Euch wieder an ihn?«
»Kann ich auf Euch zählen?«
Eine Page unterbrach das vertrauliche Flüstern. Er verneigte sich knapp vor Chapuys. »Sire, einer Eurer Diener verlangt im Empfangssaal nach Euch.«
»Sagt ihm, sein Herr kann jetzt nicht gestört werden«, knurrte Cromwell unwillig. »Wir speisen mit den Lords! Eben werden der Hirschbraten und die Schnepfen aufgetragen.« Er trat aus der Nische und wollte Chapuys mit sich ziehen.
Der Spanier entwand sich seinem Griff. »Ich werde sofort kommen«, beschied er dem Pagen mit großer Munterkeit.
Eine Zornesfalte zerteilte Cromwells Stirn. »Wie könnt Ihr es wagen! Ich lade Euch zu des Königs eigenen Schnepfen ein!«
»Ah, mit Schnepfen geht es mir wie mit Falken, mein Freund. Ich ziehe Tauben vor.«
4.
Mit gemessenen Schritten durchquerte Chapuys die Königsgemächer. Zurück im großen Empfangssaal, beschleunigte er seine Schritte und steuerte auf die Vorhalle zu, die zum Bankettsaal führte. Einer der Gardisten warf ihm einen prüfenden Blick zu.
»Solltet Ihr nicht im Staatsdienersaal sein, Sire?«
Chapuys lächelte verbindlich. »Ich muss Geschäfte erledigen, zu denen die Natur mich zwingt, und möchte nicht so unhöflich sein, mein Wasser in einer dunklen Nische abzuschlagen. Ich sah, dass Euer weiser König überall an den Palastwänden heilige Kreuze hat aufmalen lassen, um seine Gäste von solcher Ungezogenheit abzuhalten.«
Die Miene des Wachsoldaten entspannte sich. Er stieß die Tür für Chapuys auf. Im Vorraum herrschte Gedränge; lautes Klappern von Tabletten, Befehle und Flüche durchschwirrten die Luft. Schwitzende
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