Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Doch nun war er das, wofür man ihn in Köln bereits hielt: ein Mörder. Der Schmied hatte keine Chance gegen sein Messer gehabt. Lambert bedauerte den Mann nicht, tiefer schmerzte ihn die Erinnerung an Lunettas entsetzensweite Augen, an ihre Weigerung, mit ihm zu kommen. Er musste sie wiederfinden, aber zunächst brauchte er Geld.
In regelmäßigen Abständen hallten die Tritte der Mauerwächter auf den Holzbohlen des Wehrganges über ihn hinweg. Die Kniestücke ihrer Rüstungen und die Sporen an den Stiefeln klirrten leise. Wenn zwei sich begegneten, tauschten sie derbe Scherzworte und verfluchten die kalten Nebelschwaden, die vom Fluss aufstiegen.
»He, wie wäre es mit einem Pintgen im Weinhaus«, rief jetzt eine fröhliche Stimme. Lambert riss den Kopf hoch. Die Mauerwächter brummelten etwas von Nachtdienst. Der Mann mit der fröhlichen Stimme sprang pfeifend eine Treppe zum Kai hinab. Als er das Tor des Stalhofs passierte, um seine Zechtour in einer der Hafenschenken zu beginnen, sprang Lambert aus seiner Nische und vertrat ihm den Weg.
»Weg da, Bettelstudent«, herrschte ihn der Mann auf Englisch an. »Wir geben nichts. Bei St. Paul’s kannst du dein Glück als bezahlter Briefschreiber versuchen!«
»So geizig, Gernot?«, zischte Lambert in deutscher Zunge und riss sich das Barett aus der Stirn.
»Himmel, du wieder?«
Lambert nickte. »Ich hätte Zeit für ein weiteres Pintgen im Weinhaus. Lädst du mich ein?«
Sein Freund Gernot zerkaute sich kurz die Lippen, dann sah er sich rasch um und zog Lambert aus dem Lichtschein der Blendlaterne im Torbogen fort. Schweigend tauchten beide in eine unbelebte Gasse ein, die zur City hinaufführte. Eine offene Abwassergrube in der Mitte des Sträßchens sorgte dafür, dass man sie mied. Beide Männer sprachen nicht, bis sie eine Lücke in dem Gestaffel aus Wohn-, Lager- und Speicherhäusern gefunden hatten, in dem der Abfall des Stalhofs angehäuft wurde. Gernot zog sich den Saum seines knielangen Umhangs vor den Mund, um sich gegen die Ausdünstungen des Unflats zu schützen.
»Einfach teuflisch, dieser Gestank«, schimpfte er flüsternd.
Lambert schien ihn nicht zu registrieren. »Ich brauche jetzt deine Hilfe«, begann er ohne Umschweife. »Bring mich unbemerkt auf das Kontorgelände.«
»Ich würde es an deiner Stelle meiden«, flüsterte Gernot warnend. »Man hat eben eure Waffenlieferungen für den Hof beschlagnahmt.«
»Verflucht! So rasch?« Der junge van Berck verzog ärgerlich die Stirn. Mit der Galeone waren also bereits Briefe des Kölner Rates oder eines Geschäftskonkurrenten gereist, die die Verdächtigungen gegen das Rüstungshaus van Berck verbreiteten. Einem mutmaßlichen Mörder wie ihm war jeder Handel untersagt.
»Sag mir endlich, was los ist, Lambert. Habt ihr in Köln Gläubiger? Sind euch Wechsel geplatzt?«
Der junge Rüstungshändler schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann es dir nicht erklären, aber ich muss sofort ins Kontor! Ich brauche meine Waffen.«
Gernot schnaubte durch den Stoff, den er sich vor die Nase hielt. »Was denkst du dir? Das wäre Diebstahl.«
»Es wäre das Geringste unter den Verbrechen, die man mir anlastet. Ich brauche nur eine einzige Ausrüstung und ein Schwert.«
»Ich habe noch keine Passierscheine für dich.«
»Das ist nicht länger wichtig. Um unserer Freundschaft willen, hilf mir, Gernot. Es geht um Leben und Tod.«
Gernot kramte rasch nach seinem Geldbeutel, drückte ihn Lambert vor die Brust. »Hier, das ist ein ordentliches Sümmchen, es sollte reichen, um dich aus dem Staub zu machen. Mehr kann ich für dein Leben beim besten Willen nicht tun.« Er drehte sich um und wollte die Gasse in Richtung der Kirche All Hallows hinauflaufen.
Lambert riss ihn jäh beim Arm zurück und drückte die Börse in seine Hand. »Es geht nicht um mein Leben! Das ist ohnehin verwirkt.«
Gernot wich entsetzt zurück, als habe ihn eben der Atem des Henkers gestreift.
»Ich verlange von dir nicht mehr, als dass du zurückgehst und mir eine der Gartenpforten zum Kontor öffnest. Nimm diese dort.« Er wies hinter sich in die Gasse. »Die Wachen überprüfen sie selten wegen der infernalischen Gerüche hier.« Leise setzte er hinzu: »Tu es um unseres Glaubens an die neue Lehre willen.«
Gernot hob abwehrend die Hände. »Den hast du verraten, als du diese entlaufene katholische Nonne geheiratet hast!«
»Luther tat nichts anderes.«
»Lambert! Diese Frau war zur Hure herabgesunken, sie bot sich in ihren
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