Das Geheimnis der toten Vögel
Pappstücken zu bedecken. Die Straße vor dem Haus war voller Glas.
»Wie ein Albtraum, aus dem man einfach nur aufwachen will. Sind die Leute denn vollkommen von Sinnen? Ich meine, genauso gut hätten sie unser Haus in Klinte anzünden können.«
»Heute erst habe ich mit vier Ärzten gesprochen, die bedroht wurden, weil sie kein Tamivir ausschreiben können, ehe nicht die Prioritätenliste fertiggestellt ist und die Apotheken ihre Rezepte auch annehmen. Ich bin selbst schon von der ganzen Verwandtschaft angerufen worden und habe mich selten so wertgeschätzt und bedacht gefühlt wie jetzt. Alle wollen Medizin. Mein Gott, wie müde und wütend ich bin! Es wäre übrigens nett gewesen, deinen Freund da richtig zu vermöbeln, aber das wäre nicht ganz gerecht gewesen, wo er so ein dünnes Hemd ist.«
»Tut mir leid, Jonatan. Ich habe lange nichts von Christoffer gehört und habe mich so gefreut, ihn wiederzusehen.«
»Wart ihr zusammen, ich meine … hast du …?«
»Mit Christoffer?« Maria lachte. »Das geht nicht. Man ist nicht mit Christoffer zusammen, er liebt alle Frauen, gerecht und gleich viel, und damit meine ich wirklich alle.«
Sie spazierten die Gassen zum Stora Torget hinauf. Hartman hatte versprochen, Maria anzurufen, wenn er so weit war, dass er nach Hause fahren konnte. Er hatte sich noch nicht gemeldet. Sie sahen die Zerstörung. Zerschlagene Fenster in einem Laden für italienische Delikatessen und in einem Geschäft, dessen Besitzer aus dem Irak kam – erst gestern hatte Maria dort Oliven gekauft. Mit einem Schaudern kam ihr die Reichskristallnacht in den Sinn. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Mond leuchtete klar und spiegelte sich in den Tausenden von Scherben. Sie sprachen miteinander über das, was sie sahen und was es für die nächste Zukunft bedeuten könnte, ehe das Gespräch zur Vogelgrippe und zu Jonatans Arbeitssituation überging.
»Eines der größten Probleme ist im Moment, Leute zu finden, die willens sind, bei den Erkrankten zu arbeiten. Es kommen immer weniger zur Arbeit. Aber heute Morgen ist etwas ganz Rührendes passiert. Plötzlich stand eine neunzigjährige ehemalige Krankenschwester in meinem Büro und meldete sich zur Arbeit. Sie hatte als Kleinkind die Spanische Grippe gehabt und überlebt. Ich habe keine Angst, sagte sie. Wahrscheinlich werde ich nicht angesteckt, sondern bin immun. Und wenn ich mir irgendetwas zuziehe, dann sterbe ich sowieso bald. Ich kann bei den Kindern sitzen und mit ihnen reden. Zu viel mehr tauge ich ja nicht mehr. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod und keine Angst vor ihren Fragen. Ich habe das alles schon einmal erlebt.«
»Wahnsinn! Da hat sie bestimmt eine Aufgabe zu erfüllen. Du wolltest mir doch noch was erzählen, Jonatan, und … sei bitte nachsichtig mit Christoffer. Er ist Gaukler, und es fällt ihm schwer, sich von seinem Rollenspiel zu lösen. Er meint es nicht böse.«
»Wahrscheinlich hat er einen Komplex wegen seinem eigenen Mehlwurm. Was für eine Beleidigung! Magst du irgendwohin gehen und einen Kaffee trinken?« Jonatan sah auf die Uhr, es war kurz nach elf. Sie entschieden sich für Kaffee und Safranpfannkuchen im Mönchskeller.
»Du wolltest mir doch noch etwas erzählen«, sagte Maria und nippte an ihrem Calvados. Gar nicht schlecht zu dem Safranpfannkuchen, der mit Sahne und Multbeerenkompott gereicht wurde.
»Ja, mit ist etwas aufgefallen, als ich untersucht habe, wie sich die Infektion ganz zu Anfang ausgebreitet hat. Alle, die im selben Taxi saßen wie der infizierte Fahrer, wurden krank. Alle außer Reine Hammar. Er ist außerdem noch mit Malin Berg nach Hause gegangen, die wenig später starb. Der Gedanke hat mir keine Ruhe gelassen. Es gab ein Untersuchungsröhrchen mit Blut von Reine, das noch nicht ins Labor geschickt worden war. Es muss im Kühlschrank vergessen worden sein. Ich habe das Labor gebeten herauszubekommen, ob er Antikörper gegen das Virus hatte. Keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin, denn es scheint doch weit hergeholt.«
»Aber es war so, oder?« Maria hielt inne und wartete auf seine Antwort.
»Ja, es war so, und da fragt man sich natürlich, wie das möglich ist.«
»Was glaubst du?«, fragte Maria und beugte sich vor, um seine Antwort zu hören. Er küsste sie rasch auf die Wange und lächelte sie frech an, als sie ihn mit ernst zusammengezogenen Augenbrauen ansah.
»Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder hat er
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