Das Geheimnis der toten Vögel
ist ja furchtbar! Er wohnt in der Rutegatan.«
»Das wissen wir, aber er geht nicht ans Telefon.«
»Das ist nicht verwunderlich. Er arbeitet Nachtschicht bei einem Wachunternehmen. So haben sie sich kennengelernt, und er wurde ihr persönlicher Leibwächter. Ihr Bodyguard. Immer haben sie darüber Witze gemacht, und jetzt ist sie tot. Das ist so schlimm, und er weiß noch gar nichts, der arme Junge.«
»Wie heißt das Wachunternehmen, für das er arbeitet?«
»Irgendwas mit Gard – dieses Center und das Wachunternehmen gehören auf irgendeine Weise zusammen. Ich glaube, das Ganze gehört jemandem im Ausland. Es war so romantisch, als Sandra und Lennie sich kennengelernt haben. Sie war im Laboratorium eingeschlossen worden. Irgendwas mit der Codekarte stimmte nicht, sie konnte nicht rauskommen, und er musste sie über eine Leiter durch ein Fenster retten, denn sie musste zu ihren frisch operierten Patienten zurück. Damals arbeitete sie Nachtschicht und war die einzige Schwester in der Abteilung. Manchmal arbeitet Lennie zusätzlich als Türsteher in irgendwelchen Kneipen. Jetzt, wo sie nicht mehr zusammen sind, arbeitet er wohl noch mehr als früher. Irgendwas muss er ja machen. Er kann doch nicht alleine zu Hause sitzen und die Wand anstarren.«
»Ich nehme an, dass man Sie schon gefragt hat, ob Sie gestern Abend etwas Ungewöhnliches bemerkt haben, zum Beispiel, ob Sie jemandem im Treppenhaus begegnet sind, der nicht hier wohnt, oder ob Sie irgendetwas gehört haben.«
»Ja, das habe ich. Es fällt mir so schwer zu schlafen, wenn es wie Ameisen in den Beinen kribbelt, und dann gehe ich in der Wohnung auf und ab. Allein in diesem Monat bin ich sicher mehrere Meilen gelaufen. Natürlich muss man schauen, wer da die Treppe raufkommt. Die Perssons unter mir sind ja schließlich nicht zu Hause. Sie sind nach Griechenland gefahren, und man fühlt sich schon ein wenig verantwortlich. In der letzten Zeit hat es einige Einbrüche gegeben, wenn Leute verreist waren … Neulich habe ich in der Zeitung von dem alten Mann gelesen, der zwei fremde Frauen reingelassen hat, die sich Papier und Stift ausleihen wollten, um dem Nachbarn oben drüber eine Nachricht zu schreiben. Während sie den Mann mit diesem Trick abgelenkt haben, ist eine dritte Person reingeschlichen und hat seine Brieftasche und andere Wertsachen gestohlen. Es ist wirklich eine Schande, alten Menschen so etwas anzutun. Ja, und da passe ich ein wenig auf das Haus auf.«
»Und was haben Sie gesehen …«, meinte Hartman in dem Versuch, etwas Schwung in die Zeugenaussage zu bringen.
»Erst kamen zwei Kinder, die Zuckerstangen verkauft haben. Ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen hatte langes blondes Haar und war ein wenig größer als der Junge. Er war dunkel und hatte große braune Augen und sagte, er heiße Patrik. Sie gingen in die dritte Klasse und wollten nach Dänemark fahren. Es ist doch schlimm, dass die Kinder so schuften müssen, um eine Klassenfahrt machen zu können. Als ich klein war, sind wir nie auf Klassenfahrt gegangen. Wir sind zum Strand geradelt und haben gezeltet. Kurz nachdem die Kinder geklingelt hatten, kam ein Mann mit Cowboyhut und Stiefeln, den hatte ich noch nie gesehen. Einen Bart hatte er auch, oder auf jeden Fall lange Koteletten. Henriksson hat ihn auch gesehen. Er wird so vierzig, fünfzig Jahre alt gewesen sein. Kräftig. Graublondes langes Haar. Er hat nach Schnaps gestunken, das habe ich meilenweit gerochen.«
»Sonst haben Sie niemanden gesehen?«, fragte Maria, als Ingrid Svensson eine Pause machte, um noch nachzuschenken.
»Na ja, dann war da noch ein Mann, glaube ich. Ich habe hier draußen eine Männerstimme gehört. Es kann dieselbe Person gewesen sein wie der mit dem Cowboyhut – aber ich hatte doch irgendwie das Gefühl, als sei er das nicht. Ich fand, ein so großer Kerl könne nicht so eine Piepsstimme haben, denn Stimme und Person sollten doch zusammenpassen, verstehen Sie?«
»Haben Sie gehört, was er gesagt hat?«, hakte Hartman nach.
»Nein, das habe ich nicht. Es kann natürlich derselbe Mann gewesen sein, aber die Stimme war sehr hell.«
19
»Die Vogelgrippe auf Gotland hat ein weiteres Todesopfer gefordert. Die Trainerin, die in einem Fußballcamp in Klintehamn infiziert worden war, starb gegen drei Uhr heute Nacht. Aus gesicherter Quelle heißt es, dass der Vorrat an effektiven Medikamenten nicht mehr ausreicht und dass der
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