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Das Geheimnis der toten Vögel

Das Geheimnis der toten Vögel

Titel: Das Geheimnis der toten Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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ablösen sollen, waren noch nicht eingetroffen, da zwischen Sozialverwaltung und Gewerkschaft noch Verhandlungen liefen, ob es den Tatbestand der Arbeitsverweigerung erfüllte, angesichts eines so hohen Infektionsrisikos den Dienst zu verweigern. Zudem stieg die Anzahl der Krankschreibungen unter den Leuten, sowohl im Krankenhaus als auch im Sanatorium. Am liebsten wollte man natürlich Personal haben, das mit der Arbeit auf einer Infektionsstation vertraut war. Wahrscheinlich würde man aber, noch ehe der Abend kam, diesen Ehrgeiz aufgeben müssen und alle Hände nehmen, die willig waren zu helfen.
     
    Jonatan konnte alle verstehen, die sich weigerten und verhandeln wollten. Auch die Loyalität des Pflegepersonals hat Grenzen. Jemand muss es tun, aber warum gerade ich? Warum ausgerechnet ich? Diese Frage hatte er sich auch gestellt. Vielleicht hatte in seiner Entscheidung, als er beschloss, im Dienst zu bleiben, eine Mischung aus Todessehnsucht, Schuldgefühl und Verpflichtung gelegen.
     
    Die Intensivstation in Follingbo konnte keine weiteren Patienten mehr aufnehmen, die Infektionsabteilung auch nicht, der Ansturm der Allgemeinheit auf die Ambulanzen ließ das ganze Gesundheitssystem allmählich kollabieren. Am Morgen war ein Mann mit Grippesymptomen und Herzinfarkt gestorben, während er zu Hause auf den Arzt wartete. Eine Frau mit perforiertem Blinddarm war auch nicht schnell genug versorgt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben. Und in dem Zelt, das man vor dem Krankenhaus aufgestellt hatte, um Temperatur und andere Anzeichen auf Grippe zu kontrollieren, war ein Tumult ausgebrochen, als den Patienten der Zutritt zur Ambulanz verweigert worden war.
     
    Was Jonatan Eriksson jedoch im Moment am meisten Sorgen machte, war, dass es dem einen der beiden zehnjährigen Jungen, die am gestrigen Tag eingeliefert worden waren, Sebastian Wahlgren, sehr schlecht ging. Emil Wern schien mit der Infektion besser klarzukommen. Man hatte Kontakt zu den Eltern von Sebastian aufgenommen, sie würden jeden Moment kommen. Jonatan graute vor diesem Gespräch. Tut mir leid, aber wir haben nicht mehr zu bieten als allgemeine Pflege und gutes Zureden. Vielleicht wird man ihn an das Beatmungsgerät anschließen müssen, aber es gibt keine mehr auf der Insel. Für die bestmögliche Pflege müsste er nach Linköping gebracht werden. Dort ist ein Platz frei, aber auch dort hat man keine antiviralen Medikamente zur Verfügung.
     
    Die Patienten aufs Festland zu bringen, auch das war ein Risiko, das man in der gegenwärtigen Situation eingehen musste. Wenn man da am Bett stand und zusah, wie es einem zehnjährigen Jungen immer schlechter ging, und wusste, dass seine Überlebenschancen größer waren, wenn er die Insel verließ, was machte man dann? Eine kleine Chance, aber man nahm sie natürlich wahr.
     
    Jonatan hatte Åsa Gahnström seine Arbeitssituation in scharfen Worten dargelegt, und sie beteuerte, der nationale Seuchenausschuss würde sein Möglichstes tun, um Tamivir zu bekommen. Das war ein Medikament, das sich in Tests als wirkungsvoll gegen die Vogelgrippe erwiesen hatte, die in Vietnam und dann in Weißrussland ausgebrochen, dann aber wieder abgeklungen war, sodass die Pandemie, die man befürchtet hatte, ausblieb. Doch es sah nicht gut aus. Die Darreichungen, die man über einen Internethändler gekauft hatte, hatten sich als wertlose Zuckerpillen mit einem Zusatz von Kortison und Anis entpuppt. Aus China importiert.
     
    Es klopfte an der Tür, und Jonatan setzte seine Atemschutzmaske wieder auf.
     
    »Sebastians Eltern sind jetzt da.« An der Stimme erkannte er Schwester Eva, ansonsten sahen sie und Schwester Agneta vollkommen gleich aus, wenn sie eine Maske trugen. Jonatan verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Er hätte sich erkundigen sollen, wie es Schwester Agneta ging. Das war seine verdammte Schuldigkeit als Chef. Aber was könnte er ihr zum Trost sagen? Nicht viel. Und die Müdigkeit ließ alles erlahmen. Wenn er lebend aus diesem Inferno herauskäme, dann würde er sich vor allen verstecken und ewig mit niemandem reden und mehrere Tage lang schlafen, seinen Job als Arzt kündigen und niemals, niemals mehr Entscheidungen treffen, die mit dem Leben und der Gesundheit anderer zu tun hatten.
     
    »Helfen Sie ihnen bitte mit der Schutzkleidung. Ich rufe Åsa Gahnström an und erkundige mich, wie die Verhandlungen vorwärtsgekommen sind und ob es etwas Neues gibt. Wie nehmen sie es

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