Das Geheimnis der toten Vögel
Tochter ist fast genauso alt wie Ihr Sohn. Malte kann, wenn er das möchte, bei uns bleiben, bis alles geregelt ist.«
»Ich habe kein Recht, Sie so auszunutzen. Unter normalen Umständen würde ich das niemals, niemals tun, wissen Sie das?«
»Das hier sind keine normalen Umstände. Hier herrscht Ausgangsverbot. Ich werde von mir hören lassen, sowie ich etwas von Malte weiß. Haben Sie ein Foto von ihm?«
»Ja.« Jonatan holte seine Brieftasche heraus und zeigte das Foto durch die Glaswand. »Er sieht Ihrem Sohn so ähnlich. Ich kann mir vorstellen, dass Emil so aussah, als er etwas kleiner war.«
»Stimmt.« Maria spürte, wie die Unruhe in ihren Eingeweiden herumfuhr, in einem brennenden Kreislauf. Mit ihrer ganzen inneren Kraft brachte sie ihre äußere Erscheinung unter Kontrolle, lächelte und betrachtete das Foto, als wäre es ein Tag aus der Vergangenheit, als noch nichts richtig ernst oder gefährlich war. Am liebsten hätte sie geschrien und geweint und sich wie ein Kind trösten lassen, aber diese Möglichkeit gab es nicht.
Als sie draußen im Hof war, rief Maria Hartman an und erklärte ihm die Lage. Die Hitze war fast unerträglich. Sie entschied sich, ein Taxi in die Stadt zu nehmen, um Hartman bei seiner Arbeit nicht zu behindern.
»Nimm dir die Zeit, die du brauchst, und komm wieder, wenn du kannst.« In seiner Stimme lag eine große Wärme, und wäre er in der Nähe gewesen, hätte Maria ihn vor lauter Dankbarkeit ganz fest umarmt.
Ein trauriger kleiner Junge saß auf der Mauer unten beim Café Sankt Hans, seine Kappe umgedreht auf dem Kopf, und warf mit kleinen Steinen nach den Tauben. Seine Großmutter hatte gesagt, dass er dort gern hinging, wenn er weggelaufen war und Hunger bekam. Es gibt immer nette Menschen, die einen kleinen Jungen, wenn er nur lange genug dasteht und ihnen beim Kaffeetrinken zuschaut, fragen, ob er eine Zimtschnecke will. Maria setzte sich neben ihn.
»Ich heiße Maria und bin Polizistin. Ich habe kürzlich deinen Vater kennengelernt. Er hat große Sehnsucht nach dir, Malte, und er wäre gern bei dir, aber das kann er gerade nicht. Da sind noch andere Kinder, die sehr schlimm krank sind, und er hilft ihnen, wieder gesund zu werden. Wenn diese Vogelgrippe vorbei ist …«
»Das tut er überhaupt nicht, denn Mama und ich sind ihm scheißegal.«
»Sagt deine Mama das?«
»Mama sagt gar nichts, die schläft bloß. Ich hab versucht, sie zu wecken, aber das geht nicht. Sie schläft nur und schläft und schläft … Sie ist auf dem Fußboden im Badezimmer eingeschlafen und hat sich total vollgekotzt. Ich hab ihren Kopf geschüttelt und sie in die Nase gekniffen. Aber sie hat nicht mal die Augen aufgemacht. Denn sie schläft und schläft und schläft – hundert Jahre lang.«
»Wenn du hier sitzen bleibst, dann bitte ich deine Oma, aus dem Taxi zu kommen. Ich habe sie nämlich dabei. Wenn ihr dann eine Weile hierbleibt, dann komme ich nachher und hole euch ab. Wo wohnst du denn, weißt du das?«
Maria spürte, wie die Unruhe angekrochen kam. Der Gedanke an eine sterbende Frau auf einem Badezimmerfußboden drängte sich auf. Vielleicht fing man an so zu denken, wenn man länger in dieser Branche gearbeitet hatte, eine Berufskrankheit.
»Natürlich weiß ich das. Ich wohne in der Vikingagatan.«
»Hast du einen Hausschlüssel?« Der Junge leerte langsam seine Taschen von Playmobilfiguren, Kaugummis und Verschlusskappen und fand schließlich den Schlüssel. Maria holte Maltes Oma und ging rasch zum Taxi zurück.
Das weiße Einfamilienhaus lag in Grün eingebettet. Ein paar Kinder spielten mit ihren Fahrrädern auf dem Bürgersteig. Sie hatten Pappstückchen in die Speichen gesteckt, um knatternde Geräusche zu erzeugen. Der kleine Junge, der vorbeifuhr, wäre fast in Maria hineingefahren, die in letzter Sekunde beiseite sprang. Ein kleines Idyll.
Maria bezahlte das Taxi und betrat den Garten, in dem das Gras lange nicht geschnitten worden war. Auf dem blau gestrichenen Gartentisch lagen eine leere Weinflasche und ein paar Spielzeugautos aus Plastik. Über die Holzbank war eine vergessene Kinderjacke geworfen. Die Vordertür war verschlossen. Maria klingelte und überlegte gleichzeitig, was sie Makes Mutter sagen würde, wenn sie aufmachte. Sie ließ es noch mal klingeln, diesmal etwas länger. Drinnen kein Lebenszeichen. Mit Hilfe von Maltes Schlüssel verschaffte sie sich Zugang.
In dem
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