Das Geheimnis der toten Vögel
wenig schmeichelhafte Beschreibung seines Äußeren und seiner hellen Stimme, gefolgt von den Seewettermeldungen. Er merkte, wie seine Hände am Steuer zu zittern begannen, noch ehe er das, was er da gerade gehört hatte, richtig begriff. Wie konnten sie wissen, wer er war? Und dass er da bei Sandra Hägg gewesen war? Hatte ihn jemand gesehen und wiedererkannt? Das war kaum wahrscheinlich, bei der Verkleidung, die er getragen hatte. Verdammt noch mal, die mussten in ihren Computer gegangen sein und den Anbieter angefragt haben. Verdammte Scheiße! Der Computer war eingeschaltet gewesen, und er hatte mit der Tastatur gespielt.
Er konnte nicht mehr atmen, die Luft stand still, in den Ohren brauste es, ein Rauschen wie von einem Wasserfall, und die Straße tanzte vor seinen Augen, sodass er nicht mehr wusste, auf welcher Straßenseite er sich befand. Ein verschwommener grüner Graben und ein graues Feld drehten sich vor seinen Augen. Er musste sich zusammenreißen. Sein aufgeregtes Herz beruhigen. Langsamer fahren, die Lage bedenken und vernünftige Entscheidungen treffen.
Die Tankanzeige näherte sich dem Nullpunkt. In Lärbro musste er tanken, versuchen, den Wohnwagen an einem sicheren Ort zu verstecken und dann das Auto zu wechseln. Kein Auto mieten, denn da musste man sich ausweisen, sondern das Auto von jemandem klauen, der im Urlaub war. In der Stadt standen in jeder zweiten Auffahrt auch tagsüber Autos. Was sollte er nur mit dem Wohnwagen machen? Die Gegend war so flach und übersichtlich. Ein kleiner Waldweg, wo niemand hinkam? Sein Magen krampfte sich zusammen. Die Übelkeit kam ohne Vorwarnung, und Hans Moberg war gezwungen, anzuhalten und sich zu übergeben.
Jetzt zitterte er am ganzen Leib und vermochte die Bilder von der toten Frau nicht länger zu verdrängen. Das schwarze Haar auf dem weißen Laken und der Mund, den er gern geküsst hätte, obwohl alles Leben daraus gewichen und durch eine feuchte Kälte ersetzt war. Solch eine schöne Frau hatte ihm das Leben nie gegönnt, doch im Tod konnte er sie eine kurze Zeit besitzen. Die mageren Schultern, die Kurve am Schlüsselbein, die er einfach streicheln musste. Die rührend kleinen Brüste, die er mit einer einzigen Hand hatte umfassen können. Er hatte sich neben sie gelegt und sich vorgestellt, dass sie zusammengehörten und dass sie sich gerade schlafen gelegt hätten, genau wie sie es immer um diese Zeit am Abend machten, wenn sie den Fernseher ausgeschaltet hatten. Wenn er nur nüchtern gewesen wäre, dann wären die Welten nicht ineinandergeflossen. Dann hätte er rechtzeitig aufhören können. Sie hatte sich zuerst hingelegt und auf ihn gewartet. Den Tisch für zwei gedeckt.
Die Wunschfrau, die Erträumte, die er in all diesen Frauen suchte. Die die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte. Immer auf ihn warten würde. Wenn er nur den Wein bei Sandra Hägg nicht getrunken hätte, dann hätte er die Gefahr rechtzeitig bemerkt. Dann hätten sich die Welten nicht in Schichten übereinandergelegt, vermischt und zu einer unerträglichen Wirklichkeit vermengt – eine Wirklichkeit voller Gedächtnislücken. Sich nicht erinnern zu können, was passiert war, war das Schlimmste von allem. Das erzeugte eine unerträgliche Angst, die nur mit einem neuen Rausch betäubt werden konnte.
Plötzlich fiel ihm Cecilia mit dem Pferdegesicht ein. Zu Beginn des Sommers hatten sie sich im Gutekällaren getroffen. Sie hatten eine Weile hin-und hergemailt, ehe sie sich verabredet hatten, und das Treffen war für sie beide unterhaltsam gewesen. Sie hatten von einem Wiedersehen gesprochen, doch Wiedersehen wurden nur selten so gut wie das erste Mal. Cecilia war genau wie die anderen Frauen in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung gewesen. Schlank, hatte sie geschrieben. Schlank war eine grobe Untertreibung. Er hätte sich an ihren Hüftknochen schneiden können, und die Wangenknochen hatten wie zwei üble Bremsenstiche hervorgeragt. Aber die Tatsache, dass sie sich jetzt, wo er sie brauchte, ganz in der Nähe befand, gab der Sache mildernde Umstände. So gesehen war ein Wiedersehen keine dumme Idee. Außerdem hatte sie eine große Scheune und eine Doppelgarage auf ihrem Grundstück. Das passte ausgezeichnet.
Hans Moberg entschied sich, das Benzin bar zu bezahlen. Die Frau an der Kasse der Tankstelle in Lärbro schien die Suchmeldung im Radio nicht gehört zu haben. Sie sah ihn kaum an, verfolgte aber mit wachsamem Blick zwei wuselige Jungs, die
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