Das Geheimnis der toten Vögel
zu, als Hans Moberg sich hinsetzte, um die neuesten Nachrichten im Internet zu lesen. Die Bitte des Ministerpräsidenten an die Welthilfsorganisationen um Unterstützung bei der Beschaffung von Medikamenten war die Hauptschlagzeile in der Presse. Zwei weitere Personen waren an der Vogelgrippe gestorben, einer davon ein kleiner Junge namens Sebastian. Vor der Schule in Klintehamn hatte es Auseinandersetzungen gegeben zwischen der Polizei und Eltern, die ihre Kinder nach Hause holen wollten. Es gab ein Bild von der Seuchenschutzärztin, wie sie aufrecht und Respekt gebietend auf der Treppe über der aufgebrachten Menge stand. Im Vordergrund war ein Mann zu sehen, der in beiden Händen Steine hielt. Es gab außerdem eine kleine Notiz über eine dreiunddreißigjährige Frau, die in einer Wohnung in Visby tot aufgefunden worden sei. Kein Suchaufruf nach einem übergewichtigen Mann von Mitte vierzig mit dünnen Haaren. Zur Sicherheit kontrollierte er noch einmal die Lokalnachrichten, und da war sie – die Suchanzeige. Ein Schaudern ging durch seinen Körper. Die Überschrift nagelte seinen Blick auf dem Bildschirm fest und klagte ihn des Mordes an Sandra Hägg an. Jetzt waren sie ihm auf der Spur. Doch eine kleine Frist hatte er bekommen. Wenn er nur richtig ausschlafen und dann ungestört nachdenken konnte, dann würde er schon eine Lösung finden.
Hans Moberg trank einen Schluck Gotlandsdricka und zog eine Grimasse. Cecilia hatte damit angegeben, dass sie im Brauwettbewerb von Gotlandsdricka auf Platz drei gekommen sei. Pfui Teufel. Er wollte lieber nicht wissen, wie die Sachen wohl schmeckten, die keinen Preis gekriegt hatten. Das Leben war ein Elend. Er brauchte wirklich jemanden, mit dem er reden konnte. »Kuschelmaus aus Skåne« war online. Er bemerkte, dass sie ihre E-Mailadresse geändert hatte. Eine freundliche Umarmung war genau, was er brauchte. Scheißegal, dass sie ihn ausgelacht hatte. Sie hatte eine Sanftheit, die ihm sehr gefiel. Ihre Art zu schreiben: Mein Herz und mein bester Freund. Er warf einen Köder aus, und sie biss sofort an.
»Wollte nur ein wenig reden, ist so einsam ohne dich«, begann er zu chatten.
»Das sagst du allen Frauen.«
»Ganz und gar nicht. Ich denke die ganze Zeit an dich. Heute Morgen habe ich die Schmutzwäsche in den Kühlschrank gestopft, habe das Waschmittel in den Kaffeefilter geschüttet und dann den ganzen Vormittag verträumt und mir vorgestellt, was ich mit dir tun würde, wenn du hier wärst. Ich glaube, ich bin dabei, mich tödlich zu verlieben. Sag mir etwas Nettes, ich brauche das. Ich sehne mich nach dir. Antworte, sonst sterbe ich!«
»So schlimm muss es ja nicht gleich sein. Wo bist du?«
»Wohne bei einem Kumpel, er schläft grade, deshalb versuche ich, etwas leise zu sein.«
»Bei einem Kumpel? Und wo? Bist du noch auf Gotland?«
»Ja, ich bin in Kappelshamn. Kannst du nicht herkommen? Mir ist langweilig.«
»Dann hast du wohl die neuesten Nachrichten noch nicht gehört, was? Ich habe den Fernseher an. Das kann doch nicht wahr sein.«
»Nein, was ist denn?« Er merkte, wie es in seinen Ohren zu rauschen begann und eine glühende Röte sich auf seinem Gesicht ausbreitete. Antworte, sag es nur gleich. Du weißt, dass sie hinter mir her sind, oder?
»Die Hölle ist los. Aller Verkehr von und nach Gotland ist eingestellt worden. Die Infektion ist nicht mehr unter Kontrolle. Vierundzwanzig neue Fälle, wahrscheinlich alle von einer Frau in der Jungmansgatan in Visby angesteckt. Die wiederum haben in den letzten Tagen jede Menge Leute getroffen, die wiederum andere Leute getroffen haben. Die Eltern sind in das Camp in Klintehamn eingebrochen und haben ihr Kinder geholt. Alles ein einziges Chaos. Die Politikertagung in Almedalen wird abgebrochen werden, und die Politiker werden morgen früh aufs Festland ausgeflogen. Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.«
»Können wir uns sehen?« Das war nur ein Versuch. Er hatte keine großen Hoffnungen, aber manchmal hatte man doch mehr Glück, als man dachte.
»Um Mitternacht im Industriehafen von Kappelshamn.«
»Um Mitternacht.«
Danach war er fast glücklich und etwas weniger mutlos. Es könnte eine nette Unterbrechung der Einsamkeit sein, die fing nämlich an, ihm auf die Nerven zu gehen.
25
Jonatan Eriksson nahm die Maske ab und sackte über dem Schreibtisch zusammen. Er weinte, wie er es nicht mehr getan hatte, seit er als Kind
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