Das Geheimnis der toten Voegel
schönen kleinen Stimme: »Niemand mag mich, keiner liebt mich, nur weil ich Würmer fresse. Beiße den Kopf ab, sauge den Schleim raus, werfe die kleine Haut weg.« Am Ende war sie dann doch mit all ihren Kuscheltieren im Bett eingeschlafen.
Als Maria sich auf dem Sofa im Wohnzimmer niedergelassen hatte, wurde sie erneut mit dem Gesicht der Seuchenschutzärztin auf dem Fernsehschirm konfrontiert, am anderen Ende des Tisches saßen der Gesundheitsminister, ein Vertreter der Sozialverwaltung und einige lokale Politiker. Es ging um Prioritäten. Die Politiker, die sich zu ihrer Tagung in Almedalen versammelt hatten, hatten am Abend eine zusätzliche Zusammenkunft zum Thema Vogelgrippe anberaumt. Dort diskutierte man über Prioritäten. Welche Personen in der Gesellschaft als Erste Zugang zu Tamiflu erhalten sollten. Der Plan, den die Krisenstäbe und die Sozialverwaltung ausgearbeitet hatten, wurde stark kritisiert, weil er so wenig detailliert war. Was geschah, wenn man die bevorzugten Gruppen gegeneinanderstellen musste, weil die Medikamente nicht ausreichten? Warum sollten Menschen über fünfundsechzig Jahre Medikamente bekommen, hingegen nicht Kinder in Tagesstätten oder Schulkinder, die sich in einer Umgebung aufhielten, wo leicht Infektionen übertragen wurden? Warum wurden sie nicht bevorzugt?
»Zunächst einmal müssen die Infizierten Hilfe bekommen, dann diejenigen, die einer Ansteckung ausgesetzt waren oder aus irgendeinem anderen Grund ein herabgesetztes Immunsystem haben, herz- oder lungenkrank sind, alt oder auf andere Weise geschwächt«, meinte Åsa Gahnström. Doch die Liste der Politiker sah anders aus. Zunächst sollten Regierung, Reichstag, Landes- und Kommunalpolitiker und die Beamten der Landesregierungen Zugang zu den Medikamenten bekommen und dann die Personen, die im Krankenhaus arbeiteten, das Ambulanzpersonal und diejenigen, die in der Elektrizitäts- und Wasserversorgung und bei der Müllabfuhr arbeiteten. Auch die Leute, die Lebensmittel produzierten und transportierten, mussten geschützt werden.
»Als die Spanische Grippe herrschte, waren die meisten, die starben, im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Muss man bei der Vogelgrippe dieselbe Entwicklung befürchten?«, fragte der Moderator und wandte sich an die Seuchenschutzärztin.
»So wie es aussieht, haben wir die Situation unter Kontrolle. Wenn wir es schaffen, diese Linie konsequent durchzuhalten, glaube ich, dass das Risiko für eine weitere Verbreitung in der Gesellschaft recht klein ist. Im Moment gibt es keinen Grund zur Besorgnis.« Maria sah, wie sich die Röte über Åsa Gahnströms Wangen ausbreitete. Offenbar fühlte sie sich unter Druck gesetzt.
»Was denken Sie, werden Lehrer und Erzieherinnen sagen, wenn Sie ihre Arbeit nicht für wichtig einschätzen?«, fragte der Moderator und sah die Seuchenschutzärztin und den Gesundheitsminister herausfordernd an. »Was glauben Sie, werden die Putzfrauen denken und die Journalisten? Woher sollen die Leute wissen, was geschieht, wenn ihnen niemand davon erzählt? Gibt es überhaupt eine Gruppe in der Gesellschaft, die keine Priorität haben sollte? Die Kulturschaffenden? Die Arbeitslosen? Die sozial Ausgegrenzten? Die Asylsuchenden? Gibt es überhaupt genug Medikamente, dass es für alle reicht? Gemeinsam mit dem schwedischen Volk verlange ich eine Antwort auf diese Frage. Wie gut sind wir vorbereitet?«
Die Seuchenschutzärztin errötete bis zu den Haarspitzen.
»Wir sind gut vorbereitet, und auf lange Sicht werden, wenn es erforderlich ist, alle Zugang zu Medikamenten haben. Momentan wollen wir mit einer übermäßigen Verwendung des Medikamentes vorsichtig sein, denn es besteht das Risiko, dass eine Resistenz entsteht. Eine allgemeine prophylaktische Behandlung ist nicht nötig, solange wir die Situation unter Kontrolle haben.«
Maria hatte das Gefühl, dass es sich hier nicht um die ganze Wahrheit handelte. Sie schaltete den Fernseher aus, als die Sendung in ein Gemurmel wütender Stimmen ausartete. Sie konnte nicht mehr zuhören. Konnte diese Leute einfach nicht mehr sehen, die konzentriert und entschlussfähig sein sollten, aber jetzt wie kleine Kinder herumstritten. Sie drehte eine Runde durchs Wohnzimmer, stand eine Weile bei Linda und sah, wie sie im Traum redete, drehte noch eine Runde durch die Wohnung. Als sie Emil anrief, hörte der sofort, dass sie sich Sorgen machte, obwohl sie versuchte, es zu verbergen.
»Mama, bist du traurig?«
»Ich wünschte,
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