Das Geheimnis der toten Voegel
Längsseite des Zimmers gab es einen großen Balkon mit Blick auf das Meer und das Hafengelände. An der einen Wand war die Massageliege aufgestellt. Sie war mit einem Laken bezogen, mit Kissen und Wärmflaschen ausgestattet, und am Fußende stand ein großer schmiedeeiserner Kerzenleuchter. In kleinen zierlichen Kerzenhaltern waren im ganzen Zimmer Teelichte aufgestellt. Zwei große Keramikschüsseln mit Obst schmückten den niedrigen Sofatisch, und überall standen exklusive weiße Blumen in Vasen. Weiße Lilien, weiße Rosen und andere hohe weiße Blumen, deren Namen Maria nicht kannte. Erstaunlicherweise waren diese Dinge unberührt geblieben. Die entgegengesetzte Längswand war mit Bücherregalen bedeckt. Doch nur wenige Bücher schienen aus den Regalen geworfen worden zu sein.
Maria versuchte, den Gedanken an den misshandelten Körper, an die blauen Flecke beiseitezuschieben. Eine Frau von dreiunddreißig Jahren, jünger als sie selbst.
»Auf dem Schreibtisch liegt ein Bündel Papier«, erklärte Hartmann. »Fotokopien von Zeitungsartikeln über EAN-Codes und die Chipmarkierung von Tieren. In der Wohnung gibt es allerdings keine Hinweise auf irgendwelche Haustiere. Keine Fressnäpfe, Leinen oder Kratzbäume.«
»Hast du ein Foto von ihr?«
»Ja, den Führerschein. Möchtest du ihn sehen?« Hartman holte mit Handschuhen eine Plastiktüte aus seiner Aktentasche und zeigte ihr die Fotografie durch die Folie. »Sie sah ziemlich gut aus.«
»Ja, sehr.« Maria betrachtete ein offenes freundliches Gesicht mit regelmäßigen Zügen und einem hübschen Lächeln. »Ich bin ihr schon einmal begegnet. Nur ganz kurz, aber ich erinnere mich sehr gut daran. Sie hat im Laden ihre Brieftasche vergessen. Ich habe sie damals nicht mehr erwischt, aber sie hat offenbar die Brieftasche zurückbekommen. Auf dem Foto eben konnte man sehen, dass im Schlafzimmer ein Computer stand. Der war auch eingeschaltet.«
»Ja, ich hoffe, dass er uns ein paar Informationen geben kann. Auf dem Boden im Schlafzimmer lag eine Karaffe aus Keramik. Es war Wein darin gewesen, und sie sieht aus, als hätte jemand direkt daraus getrunken. Die Techniker haben sie mitgenommen. Ich glaube, hier können wir nicht mehr viel ausrichten, oder was meinst du? Lennie Hellström kommt als Nächstes dran. Fahren wir zur Rutegatan und befragen ihren Exfreund?« Maria stimmte zu und klickte sich zum letzten Mal durch die Bilder aus dem Wohnzimmer.
»Eins gibt mir zu denken. Es sieht so aus, als könnte man die Massageliege leicht zusammenklappen und wegstellen. Aber sie ist aufgestellt. Könnte sie einen Kunden erwartet haben? Die Wohnung ist recht klein, ich würde die Liege zusammenklappen, wenn ich nicht gerade arbeiten würde. Außerdem hätte ich Bedenken, in meinen eigenen vier Wänden fremde Männer zu behandeln. Ich meine, allein zu Hause zu sein und einen Mann zu bitten, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, und ihn dann zu massieren, das ist nicht ohne Risiko. Glaubst du, dass sie aus finanziellen Gründen gezwungen war, Kunden zu Hause zu behandeln? Ich denke einfach nur laut. Wir sollten jemanden darauf ansetzen, ihre Kunden ausfindig zu machen.«
»Wenn der Lebensgefährte ausgezogen ist, dann wird die Miete für diese Wohnung schon einiges betragen haben.« Hartman schwieg eine Weile und überlegte, was eine Wohnung mit Meeresblick in Visby wohl so im Monat an Miete kostete. »Ich frage mich, ob sie nur in ihrer Freizeit als Masseurin gearbeitet hat oder ob es ihr eigentlicher Beruf war.«
Sie gingen ins Haus, um die Kamera zurückzubringen, als sie von einer Nachbarin aufgehalten wurden, die dem Messingschild an der Tür zufolge Ingrid Svensson hieß. »Bitte keine Werbung«, stand auf einem ordentlich geschriebenen Zettel direkt darunter. Maria konnte den Blick nicht von ihrem gefärbten Haar lassen.
»Ich muss mit Ihnen reden, Herr Polizist, denn Sie sind ja wohl Polizist, oder? Ist es wahr, dass sie tot da drinnen liegt, das arme Mädchen? Stellen Sie sich vor, ich habe mich, als ich auf der Toilette war, schon gefragt, was das denn für ein unglaublicher Lärm ist. Das klang, als würde jemand das ganze Mobiliar kurz und klein schlagen. Es ist doch zu schlimm. Was ist denn passiert? Ja, also, was ich sagen wollte, ist … Wir sollten vielleicht zu mir reingehen, dann kann ich Sie zu einem Kaffee einladen, an solch einem Tag kann man das wirklich gebrauchen. Ich habe nicht viel anzubieten, aber Zimt-Schnecken gibt es schon, wenn das in
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