Das Geheimnis der toten Voegel
blieben. Genau wie in irgendeinem B-Thriller hatte er mit einem Stück Haushaltspapier – die Rolle hatte er in der Küche gefunden – seine Fingerabdrücke von Türrahmen und Briefkasten abgewischt.
Es schien so, als hätte sie auf ihn gewartet. Der Tisch war für zwei gedeckt gewesen, mit Servietten, Blumen und Kristallgläsern, und es roch gut nach einer Art Auflauf. In eine Karaffe hatte sie den Rotwein zum Lüften gefüllt. Ja, sie hatte auf ihn gewartet. Hatte ihr Treffen ersehnt und vorbereitet. Er hatte den Wein mit ins Schlafzimmer genommen. Ihr kurz geschnittenes dunkles Haar hatte einen so deutlichen Kontrast zu dem weißen Laken gebildet. Die Haut so durchsichtig und weiß, die schmalen Hände mit den langen roten Nägeln. Der Körper in dem weißen dünnen Kleid war wirklich schön gewesen, wie bei einer Braut. Noch warm, als er ihre Brust berührte. In dem Augenblick hatte ihr Handy geklingelt. Er hatte erst überlegt ranzugehen, sich dann aber umentschieden. Das war ganz klar eine Falle. Niemand durfte wissen, dass er bei ihr gewesen war. Er hatte Angst, und die Panik kam angekrochen. Seine Hände, die das Kissen umarmt hatten, das neben ihr auf dem Fußboden lag, hatten vielleicht Spuren hinterlassen. Den Kissenbezug hatte er mitgenommen und zusammen mit den Schuhen in die Latrinentonne auf einem Rastplatz geworfen. Es würde noch eine Weile dauern, bis jemand auf die Idee käme, dort zu graben. Dann würde es keine Spuren mehr geben.
Er hatte eine vage Erinnerung, dass er in ihrem Zimmer auf der Bettkante gesessen und den Wein ausgetrunken hatte, ehe der rote Wahnsinn zuschlug. Der Zorn, der durch seine Adern rauschte und dem Hirn alle Vernunft entzog. Er hatte ihren Fernseher mit einem Stuhl kaputt geschlagen. Eine vage Erinnerung aus dieser Nacht. Es gab ein paar erschreckende Lücken. Zwei Kindergesichter hatten ihn unten von der Treppe her angeschaut. Vielleicht war es Wirklichkeit, vielleicht aber auch etwas, das später an jenem Abend im Fernsehen gekommen war. Sollte er sich noch einmal hinwagen, um zu sehen, wie schlimm es war? Bei Tageslicht und in einigermaßen nüchternem Zustand betrachtet, war das eine Wahnsinnstat.
Nein, es könnte ihn ja jemand bemerken, wenn er noch einmal hinging. Da genügte schon der Mann in Golfhosen, der ihn so feindselig und hochnäsig angestarrt hatte, oder die Alte mit den gefärbten Haaren und den blinzelnden Augen. Würden die sich an ihn erinnern und jemanden benachrichtigen? Vielleicht waren auch sie Teil eines bösen Traumes. Wenn man mehr trank, als man vertrug, wurde der Schlaf unruhig und die Träume seltsam wirklich und erschreckend. Da Sandra nicht mit ihm hatte trinken können, hatte er die Weinkaraffe allein geleert. Ihr Computer war eingeschaltet gewesen. Er konnte sich an das bläuliche Licht vom Bildschirm erinnern.
Die Träume waren verwickelt wie weibliche Wesen, die kein vernünftiger Mann begreift. Jetzt war es höchste Zeit, weiterzuziehen und die Identität zu wechseln. Aber erst musste er seine E-Mails anschauen. Es würde ein Tag ohne Alkohol werden, ein Tag nur mit Leichtbier und Cola. Wenn er zuviel trank, dann vermischten sich die Welten, und das Böse konnte ihn von der anderen Seite her erreichen. Er durfte nicht so viel trinken, aber wie sollte er sonst überleben, wenn die Angst zuschlug? Es gab keine andere Linderung.
18
Als Maria Wern am 5. Juli in die Polizeiwache kam, erfuhr sie erst von der Kollegin am Empfang vom Mord in der Signalgatan. Sie hatte die Nachrichtensendung am Morgen nicht hören können, denn Linda war bockig gewesen und hatte nicht bei Marianne Hartman bleiben wollen, obwohl sie das so abgesprochen hatten. Am Nachmittag sollte sie mit Sofie spielen, die etwas weiter die Straße hinauf wohnte. Aber als Maria gehen wollte, wollte Linda sie nicht loslassen. Sie hängte sich an den Arm ihrer Mama, beide Beine um ihre Beine geschlungen und weinte laut, obwohl sie schon ein großes Mädchen war, fast acht Jahre. Aber es hilft ja nichts, wenn man innen drin noch klein ist. Marianne versuchte, sie mit Videos, Computerspielen und Eis zu locken.
»Du darfst dich mit meinen alten Kleidern verkleiden, wenn du willst. Ich habe auch eine Kiste mit altem Schmuck, das wäre doch nett, oder? Und Schminke und Handschuhe mit Schwanenfedern, wie sie die Damen haben, wenn sie auf einen Ball gehen, und einen Hut mit Flor. Das wäre doch toll, sich damit zu verkleiden, oder?«
»Nein, ich will meine Mama haben, geh nicht,
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