Das Geheimnis der toten Voegel
Mama, geh niiicht … du darfst nicht sterben … versprich, dass du nicht stirbst, Mama. Ich will meine Maaamaaa!«
Maria hatte in ihrer Verzweiflung Krister auf dem Handy angerufen und sich seine Ansage auf der Mailbox anhören müssen. Eigentlich war er dran, sich vierzehn Tage lang um die Kinder zu kümmern, und er hatte es gerade mal einen Tag ausgehalten, sein Junggesellenleben an Lindas Bedürfnisse anzupassen. Jetzt geh schon ran, du Arsch!
»Weißt du was, Linda?« Mariannes Stimme war jetzt ruhiger. »Du kannst einen Sandkuchen backen, wenn du willst, und dann kannst du ihn heute Nachmittag mit Sofie zusammen essen, wenn ihr euch beide als feine Damen verkleidet habt. Wie wär’s?«
Sehr widerwillig hatte Linda das Angebot angenommen, hatte ein wenig gezögert, für den Fall, dass noch mehr Vorteile aufgefahren würden, sich dann aber mit dem Tausch zufrieden gegeben. Eine Mutter gegen Filme, Eis, Verkleiden und Sandkuchen. Da hatte man schon schlechter verhandelt.
Als Maria eine halbe Stunde später als geplant das Revier betrat, hörte sie von der Frau, die in ihrer Wohnung ermordet worden war. Hartman war schon hingefahren, um mit den Polizisten zu reden, die Nachtdienst gehabt hatten, und mit den Technikern, die vor Ort waren. Maria benötigte noch eine weitere Viertelstunde, um dorthin zu kommen. Sie wechselte gerade noch ein paar Worte mit dem Kollegen an der Absperrung, um sich ein Bild vom Geschehen machen zu können, als Tomas Hartman auf sie zukam. Seine Stimme klang rau, und er räusperte sich.
»Ein Nachbar hat gegen Mitternacht angerufen. Aus der Wohnung drang ein schrecklicher Lärm. Im Wohnzimmer und im Schlafzimmer ist so gut wie alles kaputt geschlagen. Im Schlafzimmer liegt eine tote Frau. Die Mieterin der Wohnung ist eine gewisse Sandra Hägg, früher hat sie sie mit einem Lennie Hellström geteilt. Die Nachbarn sagen, sie lebe allein hier. Wir können wohl annehmen, dass es Sandra Hägg ist, die wir da drinnen gefunden haben … ja, es spricht eigentlich nichts dagegen.«
»Kann man sie identifizieren?«
»Sie ist es mit größter Wahrscheinlichkeit. Mårtensson meint, auf den ersten Blick scheint es, als sei sie erdrosselt worden. Der Gerichtsmediziner ist unterwegs.«
»Wissen wir etwas von ihren Angehörigen? Lennie Hellström, ist das ihr Ex? Gibt es noch mehr davon?«
»Wir haben versucht, mit den Nachbarn darüber zu reden. Sandra Hägg hatte ziemlich viele Besucher, sowohl tagsüber als auch abends. Keine großen Partys, sondern immer einer nach dem anderen. Mehr Frauen als Männer, und immer allein, sagt der Nachbar direkt neben ihr. Sie und Lennie Hellström sind vor drei Jahren zusammen in diese Zweizimmerwohnung gezogen, aber in den letzten Monaten ist er nicht gesehen worden. Die Nachbarn nehmen an, dass sie sich getrennt haben, aber keiner hat direkt gefragt. Wir haben versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Wir haben ein paar Telefonnummern von einem Lennie Hellström in der Rutegatan. Handy, Büro und die Nummer zu einem Analoganschluss in der Wohnung haben wir rausgekriegt, doch bisher haben wir ihn nicht erreichen können. Es wäre gut, wenn er wüsste, was passiert ist, ehe die Medien sich auf die Sache stürzen.«
»Wissen wir etwas von ihr? Wie alt ist sie?«
»Laut Führerschein wird sie im August dreiunddreißig Jahre. Ich habe Mårtenssons Digitalkamera hier, sodass wir die Bilder ansehen können, die sie in der Wohnung gemacht haben. Je weniger Leute da drinnen rumtrampeln, desto besser.«
Maria holte tief Luft und zwang sich, das anzuschauen, was sie unweigerlich würde anschauen müssen. Das Gesicht der Frau war blau gefleckt, und die Zunge hing geschwollen aus dem Mund, die Augen starrten blutunterlaufen. Das nächste Bild zeigte die blauen Male am Hals. »Wie widerlich.« Sie schloss die Augen und schluckte.
»Entsetzlich. Man gewöhnt sich nie daran. Wenn man es mal täte, dann wäre es an der Zeit, seinen Abschied zu nehmen.« Hartman machte mit einer Bilderserie vom Inneren der Wohnung weiter. »Es scheint, als hätte sie Massagen gegeben. Im Wohnzimmer steht eine Massageliege aufgebaut – ansonsten ist es möbliert wie jede andere Wohnung. Das würde zumindest die Menge von Besuchern erklären.« Maria betrachtete die Bilder mit Bestürzung. Die Zerstörung war unglaublich. Kein Stuhl war noch heil. Der Fernseher war zerschlagen und die Scheiben der Vitrine zerbrochen. Eigentlich war das Wohnzimmer hell und luftig möbliert, an der einen
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