Das Geheimnis der toten Voegel
Abend in seinen Wohnwagen zurückgekehrt war, hatte er sich erst mal ein Bier aufgemacht. Das trank er in gierigen Schlucken, während er darauf wartete, dass sein Computer hochfuhr. Als er die Viagrareklamen, Penisverlängerungen und Last-Minute-Angebote aus seinem Eingangsfach sortiert hatte, war nur noch eine Mail von Interesse da – sie stammte von einer Sandra Hägg, die ihn früher schon einmal kontaktiert hatte. Sehr formell und eigentlich völlig uninteressant. Sie hatte kein Foto mitschicken wollen, wahrscheinlich war sie hässlich wie die Nacht. Obwohl die richtig Hässlichen unerwartete Talente besaßen, eine Hingabe und Dankbarkeit, die man bei denen, die wussten, dass sie einen schönen Körper hatten, nur selten antraf.
In ihrer ersten Mail hatte sie Fragen zu seiner Firma gestellt, woher er denn seine Medikamentenlieferungen beziehe, jetzt wollte sie, dass er sich mit ihr traf. Das wäre vielleicht etwas, ansonsten bot der Abend ja eher trübe Aussichten. Im Moment litt sie unter Migräne und hütete das Bett. Der Schlüssel hänge an einer Schnur auf der Innenseite des Briefschlitzes an der Tür, schrieb sie. Die Angelegenheit sei wichtig. Nichts, was sie in einer Mail schreiben wolle. Das müsse unter vier Augen besprochen werden.
Das konnte man nun in alle Richtungen interpretieren. Was versprach sie sich eigentlich, wenn sie im Bett lag und auf ihn wartete? Den Hausbesuch eines Arztes? Einen Einbrecher? Einen heimlichen Liebhaber im Gewand eines Verkäufers? Welche Rolle sollte er spielen? Vielleicht war es ja auch wirklich nur ein Geschäftskontakt. Oder noch eine Umschreibung und Verschleierung dessen, was alle Frauen haben wollten, ohne zu leicht käuflich zu wirken. Weiß Gott. Wenn sie nun auf ihn wartete …
Obwohl Hans Moberg weitere vier Bier und eine unbestimmte Menge Wodka getrunken hatte, hatte er seinen Van vom Wohnwagen abgekoppelt und war in die Signalgatan mit den schicken Wohnungen und den großen verglasten Balkons zur Meerseite gefahren. Was es wohl kostete, dort zu wohnen? Ein Häschen aus besserer Gesellschaft mit reichem Papa vielleicht, oder sie hatte eigene Einkünfte, oder noch schlimmer: einen Mann mit Einkünften? Das konnte schwierig werden. Da war es am besten, wenn man erst mal die Lage peilte, ehe man allzu dicht ranging.
Er musste fast eine halbe Stunde warten, ehe es ihm gelang, zusammen mit einem älteren hageren Mann in Golfmontur durch die Tür zu huschen. Der Mann hatte ihm einen misstrauischen Blick zugeworfen und war dann mit drei selbstbewussten Schritten die Treppe hinaufgestiegen und hinter seiner Tür im ersten Stock verschwunden. Mubbe war weiter nach oben gestiefelt. Eine neugierige kleine Oma hatte den Kopf rausgestreckt und hinter ihm hergeschaut. Es roch nach Scheuermittel und frisch gebrühtem Kaffee. Er klingelte bei Sandra Hägg, doch man hörte keinen Laut. Er klingelte noch einmal. Wahrscheinlich lag sie da und schlief, die arme Kleine. Es musste übel sein, wenn man Migräne hatte. Als er die Hand in den Briefschlitz steckte, dachte er kurz, dass das Ganze vielleicht ein Witz war. Vielleicht gab es da drinnen einen Rottweiler, der sich auf ein paar fleischige Finger freute, in die er beißen konnte. Er kriegte die Schnur zu fassen und angelte den Schlüssel heraus. Dann steckte er ihn ins Schloss und drehte herum.
»Hallo!« Keine Antwort. »Hallo!« Er wollte sie schließlich nicht erschrecken. Wenn sie in ihrem Bett lag, konnte er vielleicht dazukriechen und sie einen Augenblick umarmen. »Bist du da?« Alle Frauen sind in ihrem tiefsten Innern Huren, dachte er, obwohl sie sich als Engel verkleiden. Betrügerische, verschlagene Intrigantinnen sind sie, und in ihren wurmzerfressenen Gehirnen planen sie, wie sie einen Mann fangen und zerstören können. Was Sandra Hägg ihm in dieser Nacht angetan hatte, war unverzeihlich und der größte Angriff gegen seine Freiheit, die er am höchsten im Leben schätzte. Sie tat es nicht bewusst, und vielleicht war das noch schlimmer, dass sie niemals ihren Fehler würde einsehen und ihn um Entschuldigung würde bitten können.
Als Hans Moberg später vor dem gesprungenen Spiegel in seinem Wohnwagen stand, fühlte sich das, was geschehen war, nicht mehr wirklich an. Ihre blutunterlaufenen Augen und die blauen Lippen hätten genauso gut die Szene aus einem Film sein können, den er vor langer Zeit gesehen hatte, dessen Handlung verblasst war, während die stärksten Sinneseindrücke noch bestehen
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