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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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in der Hauptstadt waren weiß-schwarz, entsann er sich. Einige Schritte später konnte er auch den Namen lesen:
    Sendlinger Straße
    »München?«, murmelte er. Ja! Wenn er dem Straßenzug folgte, würde er direkt zum Marienplatz kommen, wo täglich Tausende Touristen das Rathaus fotografierten. Erst im letzten Jahr hatten er und seine Eltern dieses Pflichtprogramm absolviert. Sie waren zum Oktoberfest in die bayerische Landeshauptstadt gekommen
und hatten sich auf der »Wiesn«, dem Festgelände, prächtig amüsiert. Der Gedanke an seine Familie wühlte Leo auf. Es war eine Erinnerung an unbeschwerte Tage und doch kam es ihm vor wie ein unwirklicher Traum. Gehetzt sah er sich um.
    Von bewaffneten Bestien mit mittelalterlichen Helmen und Brustpanzern war nichts zu sehen. Bestimmt erlaubte Refi Zul ihnen nicht, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Du musst dich immer in größeren Menschenansammlungen aufhalten, machte sich Leo klar. Den Gedanken, dass es hinter der Straßenfront eine verschwiegene Welt aus Hinterhöfen geben könnte, verdrängte er. Er wechselte auf den rechten Gehsteig, um besser durchs Sendlinger Tor und zum Kino zurückblicken zu können.
    Etwas Hartes traf ihn am Arm. Erschrocken drehte er sich um. Außer ein paar harmlos aussehenden Passanten in Regenmänteln war niemand zu sehen. »Autsch!« Wieder hatte ihn etwas getroffen, diesmal am Kopf.
    Mit einem Mal hörte er ein Prasseln um sich herum, das ihm eine Gänsehaut bescherte. Es waren gefrorene Regentropfen, die auf dem Pflaster hüpften. Von Sekunde zu Sekunde wurden sie größer. »Aua!« Ein taubeneigroßes Eisgeschoss hatte ihn am Unterarm gestreift. Ungläubig starrte er auf das Loch in seinem Pullover. Er blutete!
    »Runter von der Straße!«, schrie jemand.
    Endlich kam Leo wieder zu sich. Er flüchtete in den nächstbesten Hauseingang. Gerade noch rechtzeitig, denn schon im nächsten Moment prasselte ein zerstörerischer Schauer vom Himmel herab. Mit unbeschreiblichem Lärm zerschlugen die Hagelsteine Fensterscheiben, verbeulten Autos und verletzten Passanten, die sich nicht schnell genug in Sicherheit brachten.
    Flüchtig untersuchte Leo die Verletzung. Es war zum Glück nur eine Schramme. Er presste seine Hand auf die Wunde und
beobachtete, wie die Straße sich mit einer dichten Eisschicht überzog. Dabei beschlich ihn das dunkle Gefühl, dieses himmlische Trommelfeuer indirekt mitverschuldet zu haben. Versuchte Refi Zul ihn damit zur Strecke zu bringen, weil seine Wächter sich zurückhalten mussten?
    Unwirsch ließ Leo den Blick über die polierten Namensschilder links neben der Haustür gleiten. Auf einem standen die Buchstaben »M. E.«. Anscheinend war es in dieser Gegend üblich, sich hinter Initialen zu verstecken.
    Unvermittelt hörte der Hagelschauer auf, so als hätte jemand eine Luke zugeschlagen. Der Nieselregen setzte wieder ein.
    Leo wagte sich aus der Deckung. Er musste in Bewegung bleiben, nur dann hatte er eine Chance den Verfolgern zu entkommen. Refi Zul vermochte bestimmt nicht ganz München zu bombardieren.
    Mit eng um den Körper geschlungenen Armen hetzte er weiter. Die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Schlimmer war allerdings die Kälte am Boden. Vor lauter Hagelklumpen sah Leo den Gehweg nicht mehr. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite rutschte eine junge Frau aus und landete auf dem Hinterteil. Fluchend rappelte sie sich wieder hoch. Ihr Unglück war Leo eine Lehre. Er hob die Füße kaum an, machte aus ihnen Eisbrecher in einem Meer voller Schollen.
    Als vor ihm das Münchner Rathaus auftauchte, spürte er kaum noch seine Beine. Bis zu den Knien hinauf hatten sie sich zu Eisklumpen verwandelt. Wenn er sich nicht die Zehen abfrieren wollte, brauchte er dringend ein warmes Plätzchen. Bibbernd sah er sich um.
    Für jemanden wie ihn, der dem Tod so gerade eben von der Schippe gesprungen war, lag in der Stimmung auf dem Marienplatz etwas Surreales. Nur wenige Menschen hatten sich schon
wieder ins Freie gewagt. An einigen Stellen spielten Leute übermütig mit den Hagelkörnern, machten Fotos mit ihren Handykameras oder sangen Sauflieder. Andernorts bemühte man sich hektisch um die Versorgung von Verletzten. Die Szene war in ein bedrückendes Zwielicht getaucht, weil der Hagel den Großteil der Außenbeleuchtungen zerschlagen hatte. Der Klang von Martinshörnern hallte durch die Stadt. Wahrscheinlich waren sämtliche Münchener Feuerwehr- und Rettungswagen ausgerückt.
    Das Ausmaß der Verwüstung

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