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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Nur wehte nicht das leiseste Lüftchen. Seine geschundenen Nerven waren dem Zerreißen nahe. Mit zitternden Fingern griff er in die Hosentasche, holte die Pillendose heraus und öffnete sie. »Nur noch drei Schlafpastillen?«, murmelte er. Verschwende sie nicht, Leo! Die Erinnerung an Orlas eindringliche Ermahnung ließ ihn zögern.
    Jetzt werd nicht hysterisch!, schalt er sich und setzte den
Deckel wieder auf das Unterteil. Die Biester haben Respekt vor dir. Erst mal versuchst du, ohne das Zeug zu fliehen.
    Als er die Büchse zudrücken wollte, fiel ihm eine Veränderung am Rande seines Blickfeldes auf. Etwas Riesiges hatte sich da gerade bewegt. Erneut hallte das metallische Ächzen durch den Park. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Er hob langsam den Blick. Ihm stockte der Atem.
    Das Sportstadion kroch auf ihn zu.
    Hektisch zog Leo den Deckel von der Dose und stopfte sich eine Pastille in den Mund. Während er den Behälter wieder verschloss und in die Hosentasche zurückschob, blickte er noch einmal über den Olympiasee. Er hoffte, seine überstrapazierten Nerven hätten ihm etwas vorgegaukelt, doch es war keine Halluzination.
    Das Münchener Olympiastadion kam tatsächlich näher. Genau genommen bewegte sich nur der Überbau aus Stahl und Plexiglas. Die mächtigen Strebepfeiler hatten sich in Beine verwandelt, die Stahlseile in Sehnen und das transparente Halbrund des Zeltdaches in Flügel.
    Leo war wie gelähmt. Im Reich der ungeträumten Träume hatte er die unmöglichsten Dinge akzeptiert, aber hier … ? Starr vor Schreck stierte er zu dem gigantischen Insekt hinüber. Deshalb also hielten sich die Hyänenschweine zurück. Ihr Herr hatte einen mächtigeren Jäger erweckt, um Leo Leonidas zur Strecke zu bringen. Vielleicht hatte dieser ihn noch nicht entdeckt.
    Das nur aus Schwingen, Sehnen und Gliedmaßen bestehende Wesen hatte mittlerweile die Sitzränge hinter sich gelassen. Es kam nun rasch näher, kroch knarzend über den Olympiasee hinweg, direkt auf die Halbinsel südlich des Fernsehturms zu. Die Kreatur war so riesig, dass ihre äußeren Stahlbeine nicht
einmal nass wurden. Leo sank immer tiefer in die Parkbank hinein. Wie ein Wahnsinniger schüttelte er den Kopf. Das konnte einfach nicht wahr sein. Für dieses Ungeheuer war er ein Floh. Er musste sich nur still verhalten…
    Plötzlich ruckte eine der monströsen Stelzen aus dem Wasser. Er sah Klauen auf sich zurasen, die bestimmt nicht am Reißbrett eines Architekten entstanden waren. Leo sprang von der Bank auf.
    Zu spät. Die gigantische Pranke packte ihn wie King Kong die weiße Frau. Er kniff die Augen zu und wappnete sich für den finalen Schmerz. Das Ding würde ihm erst die Rippen brechen, ihn danach wie eine Leberwurst auspressen und ihn schlussendlich – in Ermangelung geeigneter Verdauungsorgane – achtlos wegwerfen. Hoffentlich ging es schnell.
    Leo spürte einen Ruck. Überraschenderweise wurde er nicht zerquetscht, sondern nur in die Höhe gerissen. Dann sah er unvermittelt durch die geschlossenen Lider hindurch das schillernde Insekt und tief unter sich die Lichter der Stadt.
    Die Luzide hatte begonnen. Die Karten im Kampf der Traumwandler waren neu gemischt.
    Der Wind pfiff Leo in den Ohren und wirbelte seine Haare durcheinander. Mit mächtigen Flügelschlägen schwang sich das Wesen immer höher hinauf. Um sich aus seinen Fängen zu befreien, wählte Leo den Trick, den er am besten beherrschte. Er versuchte sich in eine Wolke zu verwandeln, um einfach durch die stählernen Klauen hindurchzugleiten.
    Und scheiterte.
    Aus irgendeinem Grund versagte die bisher so zuverlässige Methode. Schlimmer noch: Der Griff des Insekts wurde fester. Er keuchte vor Schmerzen. Hatte er die Kontrolle über die Luzide verloren? Blockierte das Monstrum seine Traumenergie? Refi Zul war so ziemlich alles zuzutrauen.

    Leo biss die Zähne zusammen, hämmerte mit den Fäusten gegen die Klauen der Kreatur und zappelte mit den Beinen, ein rührend nutzloser Befreiungsversuch. Unaufhaltsam trug ihn das Insekt weiter. Im Moment überquerte es den Stadtteil Schwabing. Wahrscheinlich flog es zum Sendlinger Tor.
    Was konnte er tun? Er blickte zurück, als hoffte er das Stadion zu sehen und damit die Wirklichkeit als gewöhnlichen Traum zu entlarven. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. Die Sportarena im Olympiapark war unbedacht. Der Fernsehturm würde zukünftig …
    »… ein Lindwurm sein!«, stieß Leo hervor. Sein Unterbewusstsein hatte dem Gedanken eine

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