Das Geheimnis der versteinerten Traeume
fand aber weder Quergang noch Tür. Er war in eine Sackgasse geraten.
Ängstlich drehte er sich um. Er sah nur Schwärze. In einem fensterlosen Kohlenkeller konnte es nicht dunkler sein.
Auf einmal erschien ein geisterhaftes Schimmern im Gang. Leo vermochte keine Lichtquelle auszumachen. Er kam sich vor, als trüge er ein Nachtsichtgerät. Anders als in den einschlägigen Actionfilmen sah er seine Umgebung jedoch nicht grün, sondern in einem matten Sepiaton. Er hielt sich Mund und Nase zu, atmete kräftig aus und stellte erleichtert fest, dass die Luft ungehindert strömte.
Die Luzide hatte gerade noch rechtzeitig begonnen.
Um sich zu konzentrieren, machte er die Augen zu. Trotz der geschlossenen Lider sah er den Tunnel weiterhin so deutlich wie zuvor. Hastig sammelte er die Traumenergie aus dem eigenen Schlaf. Schon erschien vor ihm das Flackern einer Fackel. Jeden Moment konnten die Verfolger vor ihm stehen. Und was dann? Sollte er einfach wie in Salem durch Fels und Mauerwerk fliehen? Er schüttelte grimmig den Kopf. Nein. Ihr Mörderpack habt Orla umgebracht.
Das erste Hyänenschwein betrat den Gang. Es trug in der linken Klaue die Fackel und in der rechten eine Lanze. »Hier ist er«, rief es über die Schulter, als habe es nach niemand anderem als nach Leo gesucht.
Hinter der Kreatur erschien ein zweiter Wächter. Er war mit einer Streitaxt bewaffnet. »Mach ihn kalt, Tork«, sagte er. Seine Stimme klang wie Kies unter den Füßen eines Riesen.
»Halt mal kurz, Zkuth«, brummte der Pikenträger und reichte seinem Kumpanen das Feuer.
Leo fand die Gleichgültigkeit, mit der die zwei einen Mord in Angriff nahmen, empörend. Ob ihre Kameraden mit der gleichen Abgebrühtheit Orla umgebracht hatten? Wütend ließ er seine Traumenergie wie einen Blitz in Torks Spieß schießen.
Hierauf war zunächst einmal nichts von den entfesselten Kräften zu bemerken. Leo drückte sich an die Wand. Hatte er sich überschätzt? Der Wächter kam näher, holte mit seiner Waffe zum Stoß aus …
Plötzlich wickelte sich die Lanze um seinen Hals. Sie hatte sich in eine Würgeschlange verwandelt, und wie es der Wesensart solcher Reptilien entsprach, würgte sie Tork. Er kippte röchelnd um und kämpfte mit Klauen und Zähnen um sein Leben.
»Der Herr hat uns gewarnt«, brüllte Zkuth. »Ich hab’s nicht glauben wollen, dass so ein Milchgesicht ein gefährlicher Schlafverwandler sein soll.«
Er nahm Anlauf, um über das zuckende Knäuel aus Muskeln und Fell hinwegzusetzen und das »Milchgesicht« mit seiner Axt zu tranchieren. Noch ehe er sich vom Boden löste, sprang das Feuer von seiner Fackel auf ihn über und er verwandelte sich in einen Kugelblitz. Kreischend fiel er auf seinen Mitstreiter und setzte diesen ebenfalls in Brand.
»Ihr hättet besser auf euren König hören sollen«, sagte Leo. Er legte keinen Wert darauf, die blutrünstigen Kreaturen sterben zu sehen. Still schwebte er zur Decke hinauf und verschwand aus dem Tunnel.
Er war nun selbst zum Jäger geworden. Wie ein Bluthund folgte er der Fährte von Refi Zul. Genau genommen war die Witterung kein Duft, sondern das Gefühl für die Präsenz des anderen.
Von den unterirdischen Gewölben gelangte Leo in einen Keller. Er durchquerte einen Korridor. Nach wie vor orientierte er sich mithilfe des Traumsinns in der Dunkelheit. Die unverputzten gemauerten Wände schimmerten in einem bräunlichen Ton. Das Gebäude war wohl schon ziemlich alt. Ob er wie vermutet
im Haus des Ersten Statthalters herausgekommen war? Wenn ja, was dann?
Sollte Orlas Plan mit ihr gestorben sein? Der Gedanke war für ihn schwer zu ertragen. Sie hatte Refi Zul zur Besinnung bringen wollen. Das war Irrsinn! Einsichtigkeit schien eindeutig nicht zu den Stärken dieses Mannes zu gehören, der jedem Gegner gleich ein Mordkommando auf den Hals hetzte. Leo beschloss, zunächst nur das Terrain zu sondieren. Es könnte sich später als nützlich erweisen, den Schlupfwinkel von Zuls obersten Handlangern zu kennen. Alles Weitere würde sich zeigen.
Der Korridor zweigte nach links ab und endete vor einer Steintreppe. Von oben hallten Schmerzensschreie und noch grauenvollere Laute herab. Leo erstarrte. Was passierte da? Wurde Benno gefoltert? Nein, irgendwie klang es anders. Leo fasste sich ein Herz und setzte den Aufstieg fort.
Die Treppe mündete in einen schmalen Raum hinter einer Kinoleinwand. Matt schimmerten die Bilder des Films hindurch. Ein blutrünstiger Science-Fiction-Streifen,
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