Das Geheimnis der versteinerten Traeume
seiner Schülerlaufbahn so zu nennen. Wenigstens lag er dabei in seinem trockenen warmen Bett.
Gut geschlafen hatte er trotzdem nicht. Zu viel war in den letzten Stunden geschehen. Der von Mark geschaffene Horrortraum hätte ihn fast um den Verstand gebracht. Dann die durchgeschmorte DreamCap. Hatte wirklich er, Leo Leonidas, sie zerstört? Wie sollte er das angestellt haben? Der wohl nicht mehr abzuwendende Rausschmiss lag ihm schwer im Magen. Wahrscheinlich hatten sich Huber und Okumus ein Wettrennen geliefert, um dem Direktor brühwarm den Vorfall im Traumlabor zu melden.
Nicht zu vergessen das Gespräch mit Orla. Es war Leo bis spät in die Nacht nachgegangen. Sich selbst als Tochter von Traumgeborenen auszugeben, die sich ihm in ihrem Traumkörper gezeigt habe, war ja schon ziemlich starker Tobak gewesen. Aber was sie über Illúsion erzählt hatte, das Drusentor unter dem Salemer Schloss und Refi Zul, der die Menschen wie Kühe melke, um ihnen Traumenergie abzuzapfen, und sich demnächst bei ihm, Leo, melden werde, um ihn entweder zu engagieren oder zu eliminieren – das alles schlug dann doch dem Fass den Boden aus.
Müde klappte er die Bettdecke zurück.
Neben ihm lag nichts .
Er atmete erleichtert auf.
Benno erwachte auch gerade. Er blinzelte seinen Zimmergenossen an. »Au backe! Du siehst aus wie ’n Zombie. Geht’s dir nicht gut?«
Leo gähnte. »Hab nur schlecht geschlafen.«
»Wegen Okkultus? Schien ja echt miese Laune gehabt zu haben, als er dich und Mark ablieferte.«
»Hast du ihn hinter uns hergeschickt?«
Benno verzog das Gesicht. »Nee. Dem alten Huber habe ich Bescheid gegeben. Der kam zufällig angewackelt. Die Flügelzeit ist längst vorbei gewesen und du warst immer noch nicht aufgekreuzt. Ich dachte, dir sei was passiert, liegst irgendwo blutend im Keller. Was war denn los? Hast ja kein Wort gesagt gestern.«
»Ich hab mich mit Orla getroffen«, antwortete Leo. Okumus hatte ihm und Mark eingebläut über den Vorfall im Traumlabor Stillschweigen zu bewahren.
»Was?« Bennos Beine schwangen elastisch aus dem Bett. Er beugte sich vor und lehnte sich auf die Oberschenkel. »Erzähl!«
»Da gibt’s nichts zu erzählen. Wir waren in der Klosterbibliothek.«
»Echt? Habt ihr geknispelt?«
»Sag mal, hast du sie noch alle? Wir haben nur geredet.«
»Ach, nennt man das jetzt so?«
»Das ist die Wahrheit, Benno.«
»Und warum? Ich meine, hat sie dich nicht rangelassen?«
»Sie will sich für den Richtigen aufheben. Ist gerade voll der Trend, noch nicht gehört?«
»Nee. Muss ich irgendwie verpasst haben. Worüber habt Ihr denn gesprochen?«
»Über ihre Heimat.«
»Und wie ist es da so?«
»Grauenvoll. Alles zerfällt.«
»Jaja, das kommt davon, wenn die Hälfte der Bevölkerung ständig in Pubs rumhängt und sich volllaufen lässt.«
Leo war froh, als sein Zimmergenosse endlich in Richtung Toilette entschwand. An diesem Morgen ging ihm das Geschwafel des Rotschopfs besonders auf die Nerven. Vielleicht lag es an dem, was Orla über Oberflächlichkeit gesagt hatte. Er flüchtete in den Waschraum und sah zu, dass er schleunigst zum Morgenlauf kam.
Als er durchgeschwitzt ins Schloss zurückkehrte, rechnete er mit einer sofortigen Vorladung ins Büro des Direktors. Dabelstein würde ihm einen Brief an die Eltern in die Hand drücken und ihn achtkantig von der Schule werfen.
Seltsamerweise geschah nichts dergleichen. Leo duschte, zog sich die Schulkleidung an, frühstückte – der Schwarze Freitag verfärbte sich grau. Alles schien seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Der Unterricht am Vormittag schleppte sich dahin. In der Stunde nach der Morgenvesper versuchte Margrit Holzheimer der Klasse einzureden, bei der ersten seriösen Arbeit über Träume und Traumkontrolle, die der französische Sinologe Marquis d’Hervey-Saint-Denys 1867 veröffentlicht hatte, handele es sich um einen von Ignoranz überwucherten Meilenstein der Traumforschung. Als die Müdigkeit Leo gerade zu überwältigen drohte, klopfte es unvermittelt an die Tür des Klassenzimmers und Mark »Laurel« Schröder trat ein.
»Wir sollen uns sofort alle im Refektorium versammeln«, verkündete er aufgeregt. Leo würdigte er keines Blickes.
»Wer sagt das?«, fragte Fräulein Holzheimer.
»Doktor Dabelstein.«
Leo sackte in sich zusammen. Ihm schwante nichts Gutes. Der Direktor wollte einen öffentlichen Schauprozess. Er würde die beiden Regelbrecher auspeitschen, vierteilen und was dann noch von ihnen übrig
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