Das Geheimnis der versteinerten Traeume
war, auf die Straße hinauswerfen. Natürlich nur mit Worten, weil das viel grausamer war. Leo sah ein, dass ihm die Fantasie gefehlt hatte, sich den Freitag so schwarz auszumalen.
»Und warum?«, erkundigte sich die Lehrerin beim Flügelleiter W 3 .
»Herr Zaki will eine Ansprache halten.«
»Robert Zaki?« Sie wirkte überrascht.
Mark nickte. »Unser Stifter gibt sich höchstselbst die Ehre. Wir sollen alles stehen und liegen lassen. Er wird jeden Moment eintreffen.«
So leise hatte Leo die versammelte Schülerschaft der Traumakademie noch nie erlebt. Selbst bei der Begrüßungsrede von Dabelstein nicht. Robert Zaki, der vielleicht reichste Mann der Welt, beehrte die Schule nur selten mit seinem Besuch. Als er das Podest betrat, hätte man eine zu Boden fallende Stecknadel hören können.
Er war eine Ehrfurcht einflößende Erscheinung, wohl an die zwei Meter groß mit der Statur eines Zehnkämpfers. Sein pechschwarzer Maßanzug saß perfekt. Als er sich den Mädchen, Jungen und Lehrern zuwandte, präsentierte er ihnen ein freundlich lächelndes, kantiges Gesicht mit einem Prellbock von Kinn, breitem Mund, gehöckerter vorspringender Langnase und auffallend hoher Stirn. Die dunkelbraunen Augen lagen tief in ihren Höhlen und wurden von buschigen schwarzen Brauen überschattet. Leo meinte eine leichte Mandelform auszumachen.
Das Alter Zakis’ war kaum zu schätzen. Er trat so dynamisch
wie ein Dreißigjähriger auf, mochte um die fünfzig sein, konnte aber auch schon zehn oder fünfzehn Jahre mehr auf dem Buckel haben. In seinem glatten, dunklen Haar waren nur wenige silberne Fäden zu sehen. Es hatte die im internationalen Business bei Topmanagern übliche Länge und war ungemein voll. Von der bronzefarbenen Haut ließ sich schwer sagen, ob sie mit Hilfe von Hochenergielampen nachgedunkelt oder natürlich war. Vom Typ her passte Letzteres durchaus zu ihm.
Der Chef von RZ Enterprises sah summa summarum also kaum wie der Mann aus, den Deutschland nach China zur Weltausstellung schickte, um das Bild des typischen Teutonen zu vermitteln, sondern eher wie die Multikultikarrieristen, die im Fernsehen Einschaltquote machten.
»Guten Morgen, Traumschmiede«, sagte er zur Begrüßung. Seine Stimme war euphorisch, voll und kräftig, ohne zu dröhnen. »Ich habe gestern zu meinem Assistenten gesagt: ›Warum fahren wir nicht am Freitag mal rüber nach Salem und sagen den Mädels und Buben ein paar Takte zu ihren glänzenden Zukunftsaussichten in der Traumfabrik?‹«
Donnernder Applaus brach aus. Zaki wartete eine Weile, bis er mit beschwichtigender Geste Ruhe einforderte und fortfuhr. Sein Deutsch war makellos und wirkte durch einen Hauch von bayerischem Akzent noch sympathischer.
»›Vielleicht‹, hab ich zu meinem Assistenten gesagt, ›können sie bei dem ganzen Schlamm, der gerade auf uns verspritzt wird, eine warme Dusche gebrauchen.‹ Was denkt ihr?«
Wieder klatschte das Auditorium und stampfte begeistert mit den Füßen.
In diesem lockeren Tonfall ging es etwa eine Stunde lang weiter. Zaki stellte die negativen Presseberichte als reine Schmutzkampagne dar. Die Studie, der zufolge künstliche Träume gefährlich
seien und verboten werden müssten, bezeichnete er als »durchsichtiges Manöver der Computerspielehersteller zur Vernichtung eines lästigen Konkurrenten«. Die Datenbasis sei aufgrund von praxisfernen Rahmenbedingungen erhoben worden, die keiner seriösen Überprüfung standhielten. YourDream habe bereits zwei Gegenstudien in Auftrag gegeben, um die haltlosen Anwürfe zu entkräften.
Dem Vortrag schloss sich eine Fragerunde an. Das kumpelhafte Auftreten des Traumfabrikanten kam bei den meisten gut an. Zu allem wusste er eine Antwort, manchmal klang er wie ein Politiker. In Zeiten, wo die Medien jede Silbe auf die Goldwaage legten, war wortgewaltige Unverbindlichkeit wohl normal. Leo bemerkte, dass Orla sich im Hintergrund hielt. Mit verschränkten Armen saß sie in der letzten Reihe; es sah aus, als schmolle sie vor sich hin. Plötzlich tippte jemand Leo auf die Schulter.
Er drehte sich ohne Eile um, weil er mit einem weiteren von Bennos sinnentleerten Kommentaren rechnete, doch es war kein Geringerer als Doktor Herger Dabelstein, der um seine Aufmerksamkeit ansuchte.
»Herr Zaki möchte sich mit dir unterhalten, Leo«, flüsterte der Direktor. »Unter vier Augen.«
Selten hatte sich Leo so unwohl gefühlt. Ganz allein saß er mit dem Traumfabrikanten am runden Besprechungstisch
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