Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
seiner Unbedachtheit leicht ins Reich der ungeträumten Albträume hätte tappen können. Mit Grauen entsann er sich Orlas Schilderungen von Inférnia, die ihn wiederum an den Schlussteil von Marks Psychotraum erinnert hatten. Hier sah nichts beängstigend aus. Das Tor stand in einem engen, üppig grünen Tal, das zwischen schroffen Bergflanken lag. Als er sich umdrehte, erlebte er gleich die nächste Überraschung.
    Die Traumquelle entsprang mitten in der Luft. Gischt aus kondensierter, reiner Traumenergie benetzte sein Gesicht. Undeutlich meinte er im Sturzbach noch die Drusenkammer zu erkennen. Das Wasser prasselte auf nackten Fels und spritzte nach allen Seiten.
    Bedächtig lief er ein Stück rückwärts, um den Born illúsischer Erneuerung in seiner ganzen wunderbaren Pracht zu bestaunen. Ungefähr fünf Meter über seinem Kopf rauschte er scheinbar aus dem Nichts. Wie viele ungeträumte Träume mochte er da sehen? Der Wasserfall wurde von zwei riesigen Kristallsäulen eingerahmt. Es ist ja ein Traumtor, rief er sich Orlas Geschichte in den Sinn. Die Sonne malte einen Regenbogen in den sprühenden Dunst.
    Er stand auf einem gewölbten, glatten Felsen, der wie ein großes Schädeldach aus dem Boden ragte. Das Traumwasser rann darüber hinweg, sammelte sich ein Stück unterhalb in einem
Bett und sprudelte als munterer Bach talabwärts. Solange es in Bewegung blieb, würde es seine Kraft nicht verlieren.
    Leos Blick schweifte weiter weg von dem Tor, hinein in die paradiesische Landschaft. Sie kam ihm wie eine dieser chinesischen Tuschezeichnungen vor, die das Wilde und das Sanfte der Natur in vollkommener Harmonie auf kleinstem Raum vereinten. Ob es hier ähnlich gewesen war? Vielleicht hatte Refi Zul dieses Tal tatsächlich mit seiner gestohlenen Schaffenskraft »gemalt«. Wie hab ich nur das Traumtor aufbekommen?, fragte sich Leo. War eines der Sternzeichen aus seiner Fantasie so etwas wie ein Schlüssel? Hatte er damit zufällig den Weg nach Illúsion gefunden? Es gab zu allen Zeiten einige Nicht-Illúsier, die unser Land gesichtet oder sogar besucht hatten. Ob Orla dabei auch an unfreiwillige Entdecker wie ihn gedacht hatte …?
    Unvermittelt hörte er ein Rascheln. Sein Blick sprang nach rechts, wo übermannshohe Büsche mit glänzend fleischigen Blättern aus dem Boden wucherten. Er meinte im Astwerk eine Bewegung wahrzunehmen. Die Beobachtung setzte eine weitere Erinnerung frei. Das Mädchen aus Illúsion hatte von Refi Zuls Wächtern gesprochen, unangenehme Kreaturen, denen du nicht mal bei Tageslicht begegnen willst. Wenn sie Traumtore beobachteten, dann doch bestimmt auf beiden Seiten …
    Während der erschreckende Gedanke sich noch den Weg in Leos Bewusstsein bahnte, brach ein Wesen aus dem Buschwerk hervor, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es sah aus wie eine Mischung aus Hyäne und Wildschwein mit langen Hauern und einem spärlich behaarten Gesicht. Daraus fixierten ihn gelbgrüne Wolfsaugen, während es sich im Affengang – mal auf zwei, mal auf vier Beinen – rasch näherte. Die Chimäre war so gewaltig wie ein ausgewachsener Gorilla, hatte hinten Klauen und vorne wulstige Pranken. In einer hielt sie eine
doppelschneidige Streitaxt. Auf ihrem Kopf saß ein dunkler, kegelförmiger Eisenhelm und die Brust schützte ein Harnisch aus demselben Material. Der von einem schwarz gefleckten, graubraunen Pelz bedeckte Unterleib und die Hinterläufe waren unbekleidet.
    Der Anblick hatte Leo in eine Starre fallen lassen, die sich erst löste, als das albtraumhafte Wesen ungefähr vier Schritte vor ihm stehen blieb und lauernd die Axt hob. Beiläufig fiel ihm am dicht behaarten Hals der Kreatur eine kahl rasierte Stelle mit einer Tätowierung auf. Für eingehendere Motivstudien fehlte ihm aus naheliegenden Gründen die Zeit. Zur Bedrohung von rechts kam gerade eine weitere von links hinzu, die sich zunächst nur akustisch ankündigte: Er hörte ein Kratzen wie von Krallen, die über Fels scharrten. Als er erschrocken den Kopf herumdrehte, entdeckte er einen zweiten Hüter, ebenfalls ein Hyänenschwein.
    »Sieh dich vor, Galf, er könnte ein Verwandler sein«, warnte die Chimäre links das Monstrum rechts. Obwohl die Sprache Leo fremd war, verstand er sie einwandfrei. Das Traumtor musste ihn irgendwie verändert haben.
    »Wer bist du?«, fragte der zuerst bemerkte Wächter mit einer Stimme, die wie zerstoßenes Glas unter einem Mühlstein klang.
    »Man nennt mich den Löwengleichen.«
    »So

Weitere Kostenlose Bücher