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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Schlafattacke nicht zu verletzen.
    Die Wirkung setzte erstaunlich schnell ein. Um ihn herum schien alles in Watte zu versinken. Das Gemurmel vom Flur begann seltsam zu hallen. Langsam bewegte sich die Türklinke nach unten. Jeden Moment würden die Kripobeamten hereinkommen, um einige unangenehme Fragen stellen. Danach käme der Knast …

E s war die hellste Luzide, die Leo je erlebt hatte. Er schlief und war trotzdem bei vollem Bewusstsein. Zwar nahm er seine Umgebung weiterhin wie durch Watte wahr, doch das schränkte seine Handlungsfreiheit nicht ein.
    Die Türklinke war mittlerweile ganz heruntergedrückt. Leo erhob sich vom Tisch. Sein Körper fühlte sich merkwürdig leicht an, fast so als befände er sich unter Wasser. Was hatte er noch gleich tun wollen? Schau in deine Hand!, sagte eine Stimme aus seinem Unterbewusstsein. Er tat es, sah den aufgemalten Flügel und dann wusste er es wieder.
    Flieh!
    Die Tür ging langsam auf. Kommissar Walther sprach nach wie vor mit dem Polizisten. Er wies ihn an, das Fläschchen umgehend ins Labor zu schickten.
    Leo wandte sich dem Fenster zu. Begib dich zur Drusenkammer. Diesmal war es Orlas Stimme, die aus seiner Erinnerung hallte. Du besitzt die Gabe – es wird dir im Traum einfallen.
    Und so war es auch. Leo richtete den Blick nach unten. Der Fußboden glich dunklem Gewölk und darin pulsierte ein unscharfer Lichtfleck, von dem Flammen nach allen Seiten züngelten wie bei diesen kitschigen Wohnzimmerlampen, in deren Glaskörper elektrische Blitze um eine Kugel herumtanzten.

    Ein vages Gefühl sagte ihm, dass er besser nicht auf direktem Weg durch sämtliche Stockwerke in die Kellergewölbe unter dem Schloss hinabfahren sollte. Dazu fehlte ihm die Übung. Er könnte mitten im Mauerwerk aufwachen. Deshalb schwebte er zu dem vergitterten Fenster hinüber. Ein Schauder rann ihm über den Rücken, als er sein Spiegelbild sah. Er hatte die Augen geschlossen und merkte es nicht einmal. Als wäre es nur ein Spaziergang im Nebel, durchdrang er mühelos Glas und Eisenstäbe.
    Einen Wimpernschlag bevor Walther und Kürzer den Raum betraten, war Leo nach draußen entschwunden.
     
    Der Sprung vom Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad war so ungefähr das Mutigste, was Leo in Sachen Akrobatik je gewagt hatte. Nun schwebte er frei in der Luft, konnte bis zum Dach des Schlosses aufsteigen und sich ebenso leicht nach unten sinken lassen. Seltsamerweise fühlte er sich dabei nicht unsicher, eher wie ein lebender Heißluftballon, nur weniger dick. Im Traum war er ja schon oft geflogen. Selten macht sich der Träumer Gedanken über die absurden Dinge, die er anstellt – sie sind in seiner Traumwelt normal.
    Leo besann sich wieder seines eigentlichen Ziels, ließ sich gleichsam von ihm rufen. Wie ein Kamin die Rauchfahne zog die Drusenkammer ihn zu den Kellergewölben hinab. Er hörte – wenn auch gedämpft – die Vögel zwitschern, die Bienen summen, wie jemand über ihm »Alarm!« schrie, dann durchquerte er abermals eine dicke Mauer.
    Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er einen Lichtschalter. Unter der Decke flammten in spinnwebenverhangenen Drahtkörben mit kaum hörbarem Pling! eine Reihe von Glühbirnen auf. Die elektrische Beleuchtung sah aus, als sei sie schon hundert Jahre alt.

    Hinter sich entdeckte er an der gemauerten Wand eine Art Gangspill mit einsteckbaren Spaken, wie man sie etwa zum Hieven von Ankern auf Schiffen benutzte. Möglicherweise diente sie zum Öffnen einer Tür mittels einer Seilwinde. Zu sehen war da jedoch nichts. Links davon bemerkte er einen Ständer mit rostigen Hellebarden. Er setzte sich wieder in Bewegung, diesmal zu Fuß. Seltsam leicht kam er voran, so als wöge sein Körper nicht mehr als eine Feder.
    Er war offenbar in einem Geheimgang gelandet. Der offizielle Schlosskeller wäre sicher nicht so urwüchsig. Leo hatte einmal eine mittelalterliche Burg besichtigt, wo es einen Fluchttunnel gab. Natürlich auch geheim. Der hatte ganz ähnlich ausgesehen: die Decke gewölbt, die Wände schief, zum Teil aus massivem Fels herausgehauen, stellenweise durch Mauerwerk verstärkt, und der Boden ein ständiges Auf und Ab. Selbst der modrige Geruch, den seine vom Traum gedämpfte Nase wahrnahm, erinnerte ihn an damals.
    Der Gang, den er jetzt durchschritt, war breit genug für vier nebeneinanderstehende Männer und so hoch, dass Leo springen konnte, ohne sich den Kopf zu stoßen. Offenbar hatte man sich hier für einen ziemlichen Ansturm gerüstet, als

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