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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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das Schloss noch ein Kloster war und manches vor den Augen der gottlosen Welt verborgen werden musste. Möglicherweise hatten die frommen Zisterzienser auf diesem verschwiegenen Weg früher auch ihren Damenbesuch empfangen.
    Der Tunnel gehörte dem Anschein nach zu einem ganzen System von Gängen. Leo kam immer wieder an Abzweigen vorbei, dort verlor sich sein Blick in undurchdringlicher Finsternis. Nur der Hauptweg war beleuchtet. Ob es hier unten Ratten gab? Er hasste die Biester.
    Nach vielleicht dreihundert Metern stieß er auf eine erstaunliche
Kammer, deren Form einer ausgehöhlten Knolle glich. Sie maß auf dem Boden etwa sechs Schritte im Durchmesser, auf Kopfhöhe mindestens neun und verjüngte sich nach oben erneut. Die Wände waren über und über mit Kristallen bedeckt, die violett strahlten und glitzerten. Merkwürdig, dachte Leo. Entstand das Gefunkel nur durch den Widerschein der Glühlampen im Gang? Im Raum selbst gab es keinerlei Beleuchtung.
    Das also war die Drusenkammer.
    Bis hierhin hatte sich Orlas Geschichte als wahr erwiesen. Konnte es sein, dass auch der unglaubliche Rest stimmte? War diese riesige Druse ein Traumtor? Der Weg nach Illúsion?
    Im hinteren Drittel der Kammer ragte ein großer, oben flacher Kristall aus dem ansonsten glatten Boden auf. Kein schlechter Platz zum Warten, dachte er, und ließ sich darauf nieder. Es mochte noch einige Zeit vergehen, ehe Orla sich davonstehlen konnte. Sie würde wohl eher nicht durch Wände fliegen wie er. Hoffentlich entkam sie Okumus’ Aufmerksamkeit.
    Während Leo so dasaß, beschlichen ihn Zweifel, ob er tatsächlich luzide träumte. Vielleicht war er ja nur wieder einmal als Schlafwandler unterwegs, hockte in einem trostlosen Keller und bildete sich die unwirkliche Illumination nur ein.
    Alles andere als traumhaft empfand er seine verzwickte Lage. Die war ihm nur allzu bewusst! Für den Kommissar stand wahrscheinlich schon fest, wer Dabelstein ermordet hatte und dass der Täter gerade auf rätselhafte Weise geflohen war. Trübsinnig blickte Leo nach oben.
    Irgendwie erinnerte ihn das violette Geglitzer an einen nächtlichen Himmel. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, suchte er am künstlichen Firmament nach Sternbildern. Als Hobbyastronom wurde er rasch fündig und murmelte unbewusst ihre Namen: »Kassiopeia … die Pendeluhr … der Kopf der Schlange …«
Die Druse schien jede Entdeckung mit einem helleren Funkeln zu beantworten, so als fange sie seine Geistesblitze ein und verwandele sie in sichtbares Licht.
    Klarheit schafft Wahrheit. Das Mantra der Schlafverwandler kam ihm in den Sinn. Warum gerade jetzt? Vielleicht lag es an den glitzernden Figuren, die in seiner Vorstellung von Mal zu Mal plastischer wurden, so als könnten sie jeden Moment Gestalt annehmen. Da war ein langes, glänzendes Henkersschert, das drohend über ihm hing. Weiter drüben fauchte ein gewaltiger Feuer speiender Drache. Lass dich nicht im Dreieck aus deinen Gefühlen, dem Verstand und der Fantasie einsperren. Wachse mit dem Kreis deiner Träume über dich hinaus, stiegen abermals aus seiner Erinnerung Worte Robert Zakis herauf. Die Kristalle um ihn herum funkelten immer intensiver.
    Was da passierte, war unmöglich mit Reflexionen der elektrischen Beleuchtung zu erklären. In dem Geglitzer blitzten Farben auf, die vorher nicht einmal zu erahnen waren. Ein rasch heller strahlendes Licht erfüllte die Druse. Es war unbeschreiblich ergreifend. Auch das mächtige Rauschen, das aus unbekannten Sphären herüberhallte.
    Im nächsten Moment meinte Leo, er stehe im Regen.
     
    Er musste unbewusst das Tor nach Illúsion geöffnet haben. Was ihn im Nu pitschnass werden ließ, war indes kein Regenschauer, sondern ein Wasserfall. Nein, eine Traumquelle! Orla hatte ja so etwas erwähnt.
    Damit war auch der letzte seiner Zweifel an ihrer Geschichte ausgeräumt. Die kühle Dusche hatte ihn, hektisch nach Atem ringend, aufspringen lassen. Um ihr zu entkommen, lief er einige rasche Schritte nach vorn und stand auf einmal in warmem Sonnenschein.

    Ein überraschendes Gefühl von Klarheit überkam ihn. Klarheit schafft Wahrheit. Er hielt sich die Nase zu und blähte die Backen. Keine Luft entwich dem geschlossenen Mund. Das bedeutete, er war aufgewacht. Der Schreck und wohl auch der kalte Schauer mussten ihn geweckt haben.
    Der Sturzbach war dadurch nur noch realer geworden. Nun nahm er Düfte und Geräusche viel intensiver als vorher wahr. Ihm war etwas mulmig zumute, weil er in

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